: Einmal geht die Post doch ab
Nach dem zweiten Platz von Jens Heppner am Henninger Turm sieht die Zukunft des Radrennstalls Telekom freundlicher aus ■ Aus Frankfurt/Main Matthias Kittmann
Die „Hölle von Kelkheim“ ist nur 500 Meter lang, so lang wie die Fußgängerzone des Taunusstädtchens vor den Toren Frankfurts. Also keine Strecke; in nicht mal einer halben Minute durcheilt. Und das Kopfsteinpflaster ist eigentlich auch kein Kopfsteinpflaster, eher ein Marmor-Mosaik. Die gutsituierten Kelkheimer im „Speckgürtel“ der Main-Metropole haben sich was gegönnt. Und Frank H. hat seine erste Fahrt darüber genossen. Nicht als Sonntagsausflügler, sondern als Führender des Weltcup-Rennens „Rund um den Henninger Turm“. Allein auf weiter Flur fuhr er 15 Minuten vor dem Feld her, und das sanfte Rütteln muß ihm wie ein Glockenspiel geklungen haben. Der Namenloseste aller Namenlosen, dessen Nachname noch nicht mal im Programmheft verzeichnet war, mußte es sich für diesen Genuß gehörig mit seinen Kollegen verderben.
Kaum war am Niederräder Ufer die Neutralisation aufgehoben, jagte er plötzlich los – wie ein Gesetzesbrecher, jedenfalls einer des ungeschriebenen. Solche Kapriolen in der Einrollphase auf dem Weg nach Wiesbaden macht man in der Radsportszene einfach nicht. Da hält man ein Schwätzchen, stichelt ein wenig den Nachbarn auf der anderen Seite und kontrolliert, ob die Schokoriegel auch gut verstaut sind. Doch Frank H., der mittlerweile als der Däne Frank Hoy (22) identifiziert war, kannte sowieso nichts und niemanden, also konnte er auch gleich allein fahren – 137 Kilometer lang, mehr als die halbe Strecke. Doch das niedliche Pflaster von Kelkheim wurde für ihn bald zum Vorboten der „Hölle“. Denn danach geht's drei Runden lang immer und immer wieder in die giftigen Anstiege des Taunus.
Neun, zehn, elf Prozent Steigung, da hilft kein Applaus, kein superleichter Rahmen und keine Banane mehr. Frank H. arbeitet hart und schwer. Eine Kuh schaut ihn verständnislos an. Die Pedalumdrehungen werden langsamer, er steigt aus dem Sattel, er pendelt, er schafft es nicht. Ein Trio saugt ihn auf wie ein Staubsauger einen Fussel. Ein weiteres folgt. Aus diesem Sechser-Pack löst sich kurz darauf ein weiteres Trio in anderer Zusammensetzung: Massimo Podenzana, italienischer Meister, Francesco Frattini, wie Hoy und der Schweizer Überraschungsleader der Weltcup-Wertung, Mauro Gianetti, ein totaler Nobody, sowie Jens Heppner (30).
Der Geraer war praktisch über Nacht zum Hoffnungsträger des Telkom-Rennstalls avanciert. Olaf Ludwig, Sprinter, letztjähriger Sieger und Team-Kapitän, hatte kurzfristig wegen einer bakteriellen Infektion passen müssen und damit die Taktik über den Haufen geworfen. Telekom stotterte, Heppner allerdings nicht. Er startete nicht nur die Aufholjagd auf Hoy, sondern ließ sich später auch nicht von den eigentlich frischeren Italienern abhängen. Der nicht gerade als Witzbold bekannte Heppner bewies nach der Zielankunft dann durchaus auch professionelles Gespür, als er auf die Frage, ob das Trio so geplant war, antwortete: „Bei so einem spannenden Dreikampf ist unser Sponsor doch viel länger im Fernsehen als bei einem Sieg, wo ich allein vorneweg fahre.“
Recht hat er. Die dritten ARD- Programme übertrugen von neun Uhr morgens an. Immer, wenn beim Telekom-Jens die Post abging, waren auch die Kameras drauf – und das war ziemlich oft. So können sich die privatisierten Kommunikationsexperten nun für ihre Entscheidung, den Rennstall auch ein weiteres Jahr zu finanzieren, gleich doppelt beglückwünschen. Erst am Vorabend hatten sie das Freizeichen für das sechste Jahr im Rennsattel gegeben, und schon 24 Stunden später klingelte es kräftig.
Das hatte sich in diesem Jahr nicht unbedingt abgezeichnet. Drei bescheidene Saisonsiege wollten nicht so recht im Verhältnis zum Sechs-Millionen-Mark- Aufwand des 18köpfigen Teams stehen. Die deutsche Telekom möchte in Zukunft zwar gerne als „global player“ auftreten, „und da ist Sportsponsering ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmensstrategie“, wie Marketing- Leiter Hartmut Gehrhoff postuliert, doch „money for nothing“ soll es nun auch nicht gerade sein. Deshalb standen die Post-Fahrräder kurz vor der Abschreibung. Heppner sei Dank, der sich im Ziel als Zweiter hinter Frattini nur knapp geschlagen geben mußte, können die Telekom-Strategen ihrem Hobby ohne Gewissensbisse zumindest auch noch 1996 weiter frönen.
Und auch für Frank H. sollten sie etwas aus der Portokasse springen lassen. Denn ohne seine kuriose Solofahrt wäre Jens Heppner vielleicht erst gar nicht in die Situation geraten, die Flucht nach vorne suchen zu müssen und damit die rosa-grauen Farben werbewirksam durch Wald und Wiesen zu fahren. Dort kämpfte Frank Hoy noch mit sich und dem Brechreiz, als Heppner schon die unvermeidlichen Damen busselten.
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