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Brandschatzende Horden

Neues aus Bollywood – Der Film „Bombay“ erzeugt eine Art Ausnahmezustand in Indien / Hindu liebt Muslimin: Skandal! / B-Picture greift aktuellen Konflikt auf / Karten werden zu Schwarzmarktpreisen gehandelt  ■ Bernard Imhasly

Der Filmregisseur Mani Ratnam kann sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen: Vierzig Kompanien Polizisten aus verschiedenen Bundesstaaten wurden am 15. April zur Premiere seines Films in die Stadt verlegt, deren Name der Film trägt: „Bombay“. Dabei war es nicht einmal eine Premiere: „Bombay“ läuft bereits in zahlreichen Städten des Landes vor vollen Häusern, und im Industriegürtel rund um Bombay stauen sich vor den Kinos die Zuschauer.

Selbst in der blasierten Hauptstadt Delhi ist der Film auf Wochen hinaus ausverkauft, und die Schwarzmarktpreise liegen ein Zehnfaches über den Schaltertarifen. In Bombay liegen sie noch höher, denn dort mußten die Zuschauer über drei Monate warten, bis die Behörde – die den Entscheid zwischen verschiedenen Organen hin und her geschoben hatte – den Mut hatte, den Film endlich doch freizugeben. Ihre Angst war durchaus berechtigt: Der Film hält den „Bombaywallahs“ einen Spiegel vor, einen Rückspiegel sozusagen, wodurch kaum vernarbte Wunden aus vergangen blutigen Auseinandersetzungen wieder aufreißen könnten.

Er erzählt die Geschichte eines Journalisten, der sich in den Ferien in seinem Dorf in Kerala in ein Mädchen verliebt. Er ist Hindu, sie ist Muslimin – eine in Indien explosive Kombination. Prompt werden sie von ihren Vätern verstoßen. Sie ziehen nach Bombay und heiraten; ihren Kindern – Zwillingen – geben sie muslimisch-hinduistische Doppelnamen.

Sechs Jahre später wird die Familie zum Zeugen der religionspolitischen Unruhen, die nach der Zerstörung der Babar-Moschee von Ayodhya überall in Indien ausbrachen, mit Bombay als Schauplatz der schlimmsten Ausschreitungen. Der Film zeigt in einer dramatischen Schnittfolge, wie ganze Quartiere von blutrünstigen Horden gebrandschatzt werden.

Die beiden Väter des Ehepaars, die sich mit ihren Kindern inzwischen versöhnt haben, sterben in den Flammen des Wohnhauses, während die jungen Eltern verzweifelt nach den beiden Knaben suchen, die sie auf der Flucht verloren haben. Dazwischen sieht man den Journalisten immer wieder beim Interviewen fanatischer Hindu- und Muslimführer, welche ihre Glaubensbrüder zu noch mehr Haß anspornen.

„Bombay“ ist einer der seltenen Filme, in denen das Genre des billigen Massenfilms aus der Küche von „Bollywood“ – Bombays Filmindustrie – ein heißes politisches Eisen aufgreift. Um so schlagender ist der Effekt: Der Rhythmus der obligaten Filmsongs, die jeden Höhepunkt in ein Melodrama von Tanz und Gesang verwandeln, geht hier plötzlich in das Stakkato von Schüssen und Explosionen über. Und die schematischen Charaktere und die einfache Handlungsfolge verstärken noch die zentrale Botschaft des Films: Wenn Hindus und Muslims nicht zusammenleben können, sind beide verloren.

Das Publikum überall im Land läßt sich rasch davon überzeugen, und in den Szenen, in denen die Filmstars religiöse Engstirnigkeit brechen, kommt es zu Klatschen, Stampfen und Pfeifen. Auch in Bombay führte der Film, statt zu den befürchteten Unruhen, zu einer erneuten Gewissenserforschung über das gegenseitige Zusammenleben. Der politische Mut des Films liegt jedoch nicht nur in der ungeschminkten Darstellung der Folgen von religiösem Fanatismus, sondern im Brechen eines Tabus: Zum ersten Mal zeigt ein Publikumsfilm die Heirat zwischen einem Hindu und einer Muslimin. Sie können, so lautet ein ungeschriebenes „Bollywood“-Gesetz, Freunde und sogar Blutsbrüder sein, ein Hindu kann sich auch einmal in eine Muslimin verlieben, aber noch nie hat es – so jedenfalls der Filmjournalist Javed Akhtar – im Hindi-Film eine Mischehe gegeben.

„Bombay“ bricht das Tabu mit dramatischem Gestus: Als der Vater des Mädchens dem jungen Hindu säbelschwingend zuruft, das Blut von Hindus und Muslimen könne sich nicht vermischen, reißt ihm dieser die Waffe aus der Hand, schlitzt sich und seiner Geliebten eine Wunde in den Unterarm und läßt das herausschießende Blut zusammenfließen. Es waren denn auch muslimische Kleriker, die sofort laut protestierten, keines „ihrer“ Mädchen könne einem Hindu zur Frau gegeben werden.

Im orthodoxen Sozialcode beider Gemeinschaften ist die Eheschließung immer noch ein Güteraustausch: Die Frau wird „weggegeben“, und unter keinen Umständen kann diese kostbare Ware in die Hände eines Hindu oder Muslim fallen.

Doch es gab auch von aufgeklärterer Seite Kritik am Film. Ihre Fürsprecher bemängelten, daß der Film beide Seiten gleichermaßen als Schuldige und als Opfer darstelle; die Wahrheit sei, daß die muslimische Minderheit in den Unruhen viel mehr zum Opfer geworden sei, auch wenn es Muslime waren, die die Kämpfe ausgelöst hatten.

Was die Liberalen Bombays noch mehr ärgerte, war die Tatsache, daß der Produzent eine private Vorführung für Bal Thackeray organisierte, den Chef der reaktionären „Shiv Sena“-Partei, der im Film als haßerfüllter Hindu-Demagoge eine realitätsnahe Darstellung erhält.

Bal Thackerays Reaktion war überraschend – und erschütternd: Nicht die blindwütigen Tiraden wollte er aus dem Film geschnitten haben, im Gegenteil: Gegen Schluß des Films steigt der Film- Thackeray in ein Auto und drückt mit einer Geste sein Bedauern über die Ereignisse aus. Das stimme nicht, protestierte der reale Thackeray – er habe nichts zu bedauern. Er sorgte dafür, daß die Szene herausgeschnitten wurde.

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