: Ruanda
■ betr.: „Der Despot und sein Heili genschein“, taz vom 6. 4. 95
Dominic Johnson meint, ich hätte in einem Artikel der Zeitschrift Novo die ehemalige ruandische Regierung unter Präsident Habyarimana „verteidigt“. Man fragt sich etwas bange, was für Pillen in der taz-Redaktion eigentlich geschluckt werden.
Ich schrieb im Sommer letzten Jahres, daß westliche Einmischung in der Region in Form des sogenannten Demokratisierungsprozesses für den Ausbruch der Gewalt in Ruanda verantwortlich war. Die Passage, an der Johnson Anstoß nimmt, lautete: „Die bestehenden regionalen und kommunalen Spannungen in Ruanda wurden durch dieses Projekt seit 1990 dramatisch verschärft. Insbesondere der latente Konflikt zwischen Tutsi-Minderheit und Hutu-Mehrheit wurde durch das perverse Vorhaben einer Neuaufteilung der Macht in einer Art ethnischen Proporzsystems in vorhersehbarer Weise angeheizt.“ Wo wird hier – oder sonstwo in meinem Artikel – Habyarimana verteidigt?
Das Problem liegt doch wohl woanders. Johnson glaubt offenbar wirklich, UN-Konferenztische seien der Ort, wo ruandische Demokratie gemacht wird. Ergo ist, wer das skeptischer sieht, ein Gegner der Demokratie und Freund des alten Diktators. [...] Wer das nicht tut, kann angesichts der Ereignisse der vergangenen Wochen in Burundi und der nach wie vor dramatischen Lage in Ruanda unschwer erkennen, daß die seit 1990 im Namen der „Demokratisierung“ unter Anleitung westlicher Diplomaten angebahnte Neuordnung Ruandas für die ganze Region eine einzige Katastrophe ist.
Ich wollte mit meinem Artikel die tatsächlichen Hintergründe des Blutbads in Ruanda aufdecken – nicht zuletzt, weil die Ethnisierung der ruandischen Politik erst beigelegt werden wird, wenn eine offene Auseinandersetzung mit ihren Ursachen stattfindet. Sabine Reul
Der Krieg (seit 1990) und der Völkermord (1994) in Ruanda haben zu einer vollkommenen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und besonders auch psychischen Destrukturierung der ruandischen Gesellschaft geführt. Eine Vielzahl von Faktoren hat zu dem menschlichen Desaster beigetragen. Damit die RuanderInnen wieder Hoffnung für eine neue Zukunft schöpfen können, ist es wichtig, alle Aspekte differenziert zu betrachten, sowohl die innenpolitischen wie wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der letzten Jahre, der regionale politische Kontext sowie die internationalen politischen und militärischen Beziehungen. Monokausale Erklärungsmuster scheinen so leicht verständlich zu sein, tragen aber kaum zum Verstehen bei.
Während eines Bürgerkriegs, der mehr als drei Jahre dauerte, hatten die Machthaber Strategien entwickelt, ihre politische Macht mit allen Mitteln zu wahren, mit allen Kriegsmitteln und auch mit psychologischer Kriegführung, indem ein anscheinend eindeutiges Feindbild geschaffen wurde, nämlich die Bevölkerungsgruppe Tutsi und alle Hutu, die dieser Politik nicht zustimmten. Während des Völkermords sollte dieser „Feind“ ausgerottet werden. Die radikalen Vertreter der heutigen Regierung in Ruanda haben sich ebenfalls ihre Feindbilder geschaffen, um ihre mit militärischen Mitteln errungene Macht zu erhalten, wie die Massaker an mehreren tausend Zivilpersonen in Kibeho am 22. April 1995 zeigen.
Was die ruandische Gesellschaft im ruandischen In- wie im Ausland für die Gestaltung der Zukunft heute braucht, ist ein gemeinsames Analysieren des Geschehens, ist ein Hinterfragen der Rolle aller Beteiligten im In- und Ausland und damit auch der sogenannten Geberstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland. Alle RuanderInnen im In- und Ausland fordern als ersten Schritt die Durchführung des internationalen Tribunals. Erst wenn zumindest ein Teil der Schuldigen verurteilt ist und damit die seit Jahren bestehende Straffreiheit durchbrochen wird, können die Menschen wieder neu anfangen. Die notwendige Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft stellt für alle RuanderInnen eine wichtige Hoffnung dar.
Ein selbstkritisches Hinterfragen aller Beteiligten kann nur dann zur Gestaltung von Zukunft beitragen, wenn Raum für Selbstkritik gelassen wird und nicht zum Beispiel wie im obengenannten Beitrag Halbsätze oder Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen werden und versucht wird, diese in einfache Gut-oder-böse-Schemata zu drängen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist eine Vielfalt, stellt eine Komplexität aus historischen Prozessen dar, aus Wahrnehmungen und Überzeugungen, geplantem Handeln und zufälligen Ereignissen, aus objektiven Tatsachen und verfälschten Wahrheiten. Alle Beteiligten sollten ihren Beitrag zur Analyse leisten. Auch die Entwicklungshilfe und die Institutionen des Nordens müssen sich der schweren Frage stellen, wieweit sie zu dieser Katastrophe beigetragen beziehungsweise sie zumindest nicht verhindert haben. Was die ruandische Gesellschaft heute braucht, ist Hoffnung auf eine andere, bessere Zukunft. Die derzeitigen Bedingungen verhindern diese. Hildegard Schürings,
Tunis/Tunesien
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