: Aus für den Schulgong
■ Intelligent sparen: neue Arbeitszeitmodelle für LehrerInnen in Bremen vereinbart
In Bremen findet eine kleine Revolution statt. Während bundesweit die Landesregierungen ihren LehrerInnen zwei Unterrichtsstunden mehr pro Woche auf's Auge drücken, einigte sich jetzt in Bremen ganz partnerschaftlich die Lehrergewerkschaft GEW mit dem Bildungssenator: Die GEW ist bereit, an einzelnen Schulen eine neue Arbeitszeitstruktur auszuprobieren, wenn der Senator keine zwei zusätzlichen Stunden und keine größeren Klassenstärken verordnet. Wenn es also über das 1992 beschlossene Personalentwicklungsprogramm (PEP) hinaus keinen Stellenabbau gibt. Am Mittwoch haben die beiden Parteien einen Vertrag unterzeichnet, der möglicherweise in wenigen Jahren den Alltag an allen Bremer Schulen umkrempeln könnte.
Inhalt des Vertrags: Einige Schulen probieren ab August neue Lehrerarbeitszeitmodelle aus. Man rechnet mit etwa 10 bis 20 Freiwilligen. Mindestens bis Ende 1997 dürfen diese Schulen dann in völliger Autonomie die Arbeitszeit der LehrerInnen (38,5 Stunden pro Woche) nach eigenem Gutdünken aufteilen in Unterrichten, Betreuen, Beraten ... Das alte System, rund 25 Unterrichtsstunden a 45 Minuten pro Woche plus etwa ebensoviel Vor- und Nachbereitungszeit, gilt nicht mehr.
Wollen die LehrerInnen soviel Experiment überhaupt? In einer GEW-Mitgliederbefragung sprachen sich rund zwei Drittel dafür aus, an einzelnen Schulen das neue Modell zu versuchen, derweil an den anderen Schulen aber die alte Regelung erstmal beizubehalten. „Die Lehrerschaft in Bremen ist also keineswegs konservativ verharrend, sondern es geht ihr um Gestaltung“, sagte dazu gestern bei der Vorstellung der Ergebnisse der Bremer Professor Hans-Georg Schönwälder, der die Befragung wissenschaftlich begleitet hat.
Die Bildungsbehörde will mittels der neuen Arbeitszeitmodelle sparen, aber auf intelligente Weise: Mit derselben Lehrerstärke will man wachsende SchülerInnenzahlen und wachsende soziale Anforderungen besser bewältigen. Binnenoptimierung nennt sich sowas. Dafür verspricht Senator Scherf den LehrerInnen aber auch mehr Freude am Unterrichten: Schließlich hätten sie doch ziemlich gelitten unter dem 45-Minuten-Takt, der jeder pädagogischen Initiative und jeder Projektarbeit entgegenstehe. Laut GEW-Umfrage leiden die LehrerInnen nämlich darunter, daß die Zeit fehlt für neue Unterrichtsformen, für Gespräche mit SchülerInnen und Eltern usw.
Doch woher soll diese Zeit kommen? Heißt mehr Betreuung nicht weniger Unterricht? Nein, sagt Heiko Gosch vom Landesvorstand der GEW. „Im Unterricht steckt viel totes Arbeiten.“ Oft würden die SchülerInnen doch schon nach zwanzig Minuten abschlaffen, die Stunde müsse aber, egal wie ineffektiv, bis zum Gongschlag durchgeführt werden. Verschenkte Lehrerarbeitszeit.
Eine bessere Ausnutzung von Arbeitszeit und -kraft könnte zum Beispiel so aussehen: Wahrend arbeitsfähige Gruppen, zum Beispiel ältere SchülerInnen, auch mal ohne Lehreraufsicht eine Aufgabe bewältigen, könnte diese eingesparte Lehreraufmerksamkeit anderen Gruppen, zum Beispiel aus der Primarstufe, zugute kommen. Anderes Beispiel: Mehrere Oberstufenkurse könnten zusammen eine Vorlesung erhalten – das trainiert für die Uni und spart Lehrkräfte.
An ein Tabu allerdings will die GEW nicht ran: die Bewertung der Lehrkräfte je nach Fach. Man wolle die Lehrerschaft nicht auseinanderdividieren, das führe zu Entsolidarisierung. Die GEW geht von einer Gleichgewichtigkeit der Fächer aus. „Aus dem Deutschunterricht komme ich doch entspannter raus als aus einer Sportstunde - was auch mit der großen Halle und dem Chaos zu tun hat“, versucht Heiko Gosch eine Begründung. Außerdem: Wenn jetzt alle LehrerInnen anfingen, ihre tatsächliche Belastung aufzuschreiben (Vor- und Nachbereitung, Aktualisierung des Unterrichtsmaterials, Problemgespräche usw.) wäre das doch eine enorme Bürokratisierung.
Der Vertrag ist unterschrieben, doch ein Risiko besteht noch: Daß die nächste BildungssenatorIn alles wieder kippt und den LehrerInnen doch noch Mehrarbeit verordnet, um der Sparquote gerecht zu werden. cis
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