piwik no script img

Labyrinthisch klarer Rohbau

■ Der Bau für das Jüdische Museum von Daniel Libeskind - in jeder Beziehung eine Ausnahme im monotonen Bauzirkus / Heute Richtfest / Noch kein endgültiges Konzept

Was auf dem Papier noch wie eine wirre Graphik, ein Schnittmusterbogen oder ein dekonstruktivistisches Chaos aussah, hat nun Form und Volumen gewonnen und steht im Rohbau fertig da: ganz nüchtern, rational und wenig anarchisch.

Daniel Libeskinds Bau für das Jüdische Museum in der Kreuzberger Lindenstraße, in dem heute das Richtfest gefeiert wird, hat sich vom blitzförmigen Entwurf, vom vielzitierten „Zickzackbau“ zu einem dreidimensionalen Baukörper entwickelt, der sich wie eine abwechlungsreiche Bau-Landschaft begehen läßt.

Um scharfe Ecken muß man sich wenden, ein neuer Raum tut sich auf, um gleich wieder zu verschwinden. Schräge Schlitze in der Wand führen den Blick nach oben oder versperren die Aussicht. Im fertigen Zustand – 1996 – sollen die verwirrenden Wege und Linien Chiffren für die wirren und verwischten Spuren des jüdischen Lebens in Berlin sein. Schon heute, wo im labyrinthischen Rohbau eine Ausstellung „Überleben in Sarajevo“ gezeigt wird, wird die Verbindung von Bauidee und Museumskonzept klar.

Daniel Libeskinds Jüdisches Museum, das 1992 begonnen wurde und auf rund 10.000 Quadratmeter Nutzfläche einmal die Schicksale der jüdischen Berliner Geschichte in Dauer- und Wechselausstellungen präsentieren soll, ist in jeder Beziehung ein Ausnahme im monotonen Bauzirkus der Stadt. Der 150 Millionen Mark teure Museumsbau, der sich in einer wilden Zickzacklinie von der Lindenstraße in die Tiefe des Grundstücks drängt, nimmt den Straßenverlauf nicht auf, sondern liegt quer zu diesem.

Auch biedert sich Libeskind nicht dem barocken Nachbarbau – dem Berlin-Museum, aus dem die jüdische Abteilung dann in den Neubau ausgelagert werden wird – an. Zu dem kleinen symmetrischen Museumstrakt tritt der Neubau durch die asymmetrischen Formen in einen streitbaren Dialog. Die beiden Gebäude bleiben autonom und sind unterirdisch miteinander verbunden. „Der neue Erweiterungsbau ist konzipiert als ein Emblem“, so Daniel Libeskind. „Das vorhandene Gebäude soll ,unterschwellig‘, in der Tiefe mit dem neuen Gebäude verbunden werden, ohne sichtbare Verbindung nach außen.“

Während die IBA-Planung aus den Zeiten vor dem Fall der Mauer Richtfest feiert, gibt es noch kein endgültiges Konzept für das Haus. Während der Senat das Jüdische Museum als Teil des Stadtmuseums begreift und dort die jüdische Berliner Geschichte „mit Objekten“ (so Museumsreferent Reiner Günzer) musealisieren will, hat Amnon Barzel, der zukünftige Direktor, ganz andere Vorstellungen. Für ihn soll es einmal ein offenes Haus, ein Kulturzentrum und Treffpunkt für Aktivitäten werden. Barzel: „Ich möchte nicht nur historische Objekte zeigen, sondern moderne Kunst und zeitgenössisches Denken.“ Rolf Lautenschläger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen