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Polizei will den 8. Mai ganz für sich

■ OVG entscheidet über Kundgebung vor Neuer Wache / Beschwerde des Polizeipräsidenten gegen Verwaltungsgericht

Eine Kundgebung des „Berliner Bündnis 8. Mai“ am Sonntag an der Neuen Wache will der Polizeipräsident Hagen Saberschinsky (CDU) auf keinen Fall. Nachdem das Verwaltungsgericht vorgestern den Veranstaltern Recht gegeben und das Verbot der Innenbehörde aufhoben hatte, legten die Ordnungshüter Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein. Begründung: Die Richter hätten die Gefahren falsch eingeschätzt, die von dem Friedensfest ausgehen. Heute wird das OVG über die Beschwerde entscheiden. Zu dem Friedensfest rufen knapp 200 Kirchen-, Friedens- und Gewerkschaftsgruppen, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und SPD auf.

Die Polizei wiederholt vor Gericht nicht nur ihre ursprüngliche Befürchtung, daß unter den Veranstaltern linke Gruppen seien, die der Neuen Wache kritisch gegenüberstünden und das Mahnmal schänden könnten. In der zweiten Instanz beweist sie eindrucksvoll, wie plausibel ihre Lageeinschätzung ist: „Unsere Gefahrenprognose stützt sich vor allem auf die Ereignisse der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1995.“ Eine Seite lang listen sie auf, wieviele Wasserwerfer und Schlagstöcke im Prenzlauer Berg eingesetzt wurden, wieviel Festnahmen und verletzte Beamte es gab. Was die Polizei freilich verschweigt, ist, daß sie mit ihrem unverhältnismäßigen Vorgehen die Auseinandersetzung zwischen 2.000 jungen Leuten am Kollwitz-Platz und 600 Beamten geradezu provoziert hat.

„Der Polizeipräsident behauptet so, es gäbe eine hohe Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung. Mit diesem Argument will er unsere politische Meinung unterdrücken“, sagte der Anwalt des Bündnisses, Matthias Trenczek, gestern auf einer Pressekonferenz. Die Bündnissprecherin Eleonore Kujawa unterstrich den friedlichen Charakter des Festes: „Keiner von uns ist jemals durch gewalttätige Aktionen aufgefallen.“ So ein gewaltfreies Fest genießt jedoch nicht den vollen Schutz der Versammlungsfreiheit, lautet die Grundrechtsinterpretation der Polizei. „Eine solche Veranstaltung ist für die Funktionsfähigkeit der Demokratie nur von minderer Bedeutung“, heißt es in ihrer Beschwerde.

Der 8. Mai beschäftigt auch anderweitig die Richter des Verwaltungsgerichtes. Die Organisatoren der für Montag geplanten autonomen Demonstration haben gestern beantragt, die Auflagen der Polizei aufzuheben, die ihnen die Abschlußkundgebung vor der Neuen Wache unmöglich macht. Nach Angaben der Polizeipressestelle ist zwischen 14 und 23 Uhr der gesamte Innenstadtbereich „aus Sicherheitsgründen“ gesperrt. Die Demo unter dem Motto „Kampf den deutschen Zuständen“ könne 15.30 Uhr am Nollendorfplatz beginnen. Auch gegen die Zwischenkundgebung auf dem Gestapo-Gelände am Anhalter Bahnhof spreche nichts. Doch für die Abschlußkundgebung müßten sich die Veranstalter einen Ort außerhalb des gesperrten Areals suchen.

Auch die Route des Schweigemarsches, zu dem die Mahnwache am Brandenburger Tor und 100 Schwulen- und Lesbengruppen am 8. Mai für 18 Uhr am Wittenbergplatz aufrufen, muß geändert werden. Der Bebelplatz, Ort der Abschlußkundgebung, befindet sich ebenfalls in dem gesperrten Areal. Nina Kaden/Barbara Bollwahn

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