: „Hau ab, hau ab“
■ Kohl auf dem Domshof: die ganz Jungen ließen sich nicht überzeugen
Um ein Haar hätten die CDU-OrdnerInnen den Studenten in der bunten Baumwollhose nicht reingelassen. Obwohl er sich extra beim CDU-Büro eine Einlaßkarte besorgt hatte. Es gebe ein „gewisses erwünschtes Zielpublikum“, so der Ordner. „Selbst wenn ich nicht CDU-Wähler bin, möchte ich doch hören, was Kohl sagt“, so der Student empört. Kanzler Kohl und die Jugend, ein schwieriges Verhältnis, jedenfalls am Donnerstagabend auf dem Domshof.
Doch zunächst wurde der Kanzler herzlich begrüßt – jedenfalls von den CDU-WählerInnen. Die dürften die Mehrheit der gut 2.000 ZuhörerInnen ausgemacht haben. Als Kohl sein Bad in der Menge nimmt, stehen selbst Bestgekleidete auf die Bänke, zücken Kameras, reichen Zettel mit Stiften – doch Helmut Kohl, von CDU-Spitzenkandidat Nölle und Bremens CDU-Chef Neumann immer hautnah umringt, Kohl schüttelt nur Hände. Nölle sahnt gleich mit ab.
Zum warmen Händedruck hat es Adolf Brüntjes, 65jähriger Elektriker und Kohl-Verehrer, zwar nicht gebracht, dafür hat er sich einen Platz auf der Pressebank ganz vorn erkämpft. Doch zuerst darf Ulrich Nölle reden. Zehn Minuten lang reiht er seine Lieblingsthemen: Staatsschulden, Kriminalität, Schogelvutz-, nein, verbessert er sich, Vogelschutzgebiete. Brüntje plagen andere Sorgen: „Ob die CDU das durchdrücken kann, daß ich eine Entschädigung krieg für meine Parzelle im Weidedamm?“
Endlich Kohl. Sofort ein Trillersturm von hinten, von den Stehplätzen, wo zahllose sehr junge Leute stehen. Spontan begrüßt Kohl sie als die „Nachhut der sozialistischen Weltrevolution. Bremen ist auch nicht mehr Bremen. Früher sind sie wenigstens noch mit Fahnen gekommen, jetzt schleppen sie sich mühsam daher, richtige Wohlstandssozialisten. Und jünger sind sie geworden.“ Grad hätten sie ihr Bäuerchen gemacht, schon buhten sie auf dem Domshof. „Hau ab, hau ab“, lautet die Antwort.
Doch Kohl schmiert jetzt den älteren BremerInnen Honig ums Maul, nennt Bremen eine „großartig alte, ewig junge Stadt“, versichert, daß Bremen eigenständiges Bundesland bleiben müsse, daß aber der jetzige Senat nicht fähig sei, die Probleme der Zukunft zu erkennen geschweige denn zu bewältigen. Ulrich Nölle dagegen verstehe was von Wirtschaft. Das Publikum klatscht artig, die Pfiffe kommen trotzdem durch, gar zu viele Reihen im abgetrennten Zirkel sind unbesetzt.
Der Kanzler hakt innerhalb einer Stunde geschätzte vierzig Themen ab. Krieg zum Beispiel. Nie wieder Krieg. Der 16jährige hinten trillert über den Polizeikordon hinweg, was das Zeug hält. Was er daran doof findet, nie wieder Krieg? „Nix“, sagt er, „aber daß es der CDU nur um Arbeitsplätze geht und gar nicht um Naturschutz“. Er würde PDS wählen, die Grünen hätten ja so gar kein Profil.
Leistungswille, noch ein Stichwort: „Wir brauchen junge Leute“, sagt Kohl, „die sich etwas zutrauen, nicht solche, die mit 20 schon abgewirtschaftet haben“. Da recken unter den Pfeifern zahllose die Arme, schreien „Hier, hier“. Kohl überhört's. Er hat ein anderes Bild von jungen Leuten: „Wenn in den 50er Jahren alle erstmal zum Psychiater gegangen wären wegen ihrer Selbstverwirklichung, wären wir nie soweit gekommen.“ Gelächter.
So richtig Stimmung kommt dennoch nicht auf. Zu gleichförmig, zu lang, zu ernst seine Rede. Aber auch die Argumente haben den 20jährigen Polizeibeamten in Zivil nicht überzeugen können. Er werde wohl noch so manchen Partei-Infotisch abklappern. „Aber das sind ja auch alles Versprechungen“, sagt er verzweifelt, „ich weiß einfach nicht, wem ich glauben soll“. Auf Info-Tische setzen auch die beiden Gymnasiastinnen. Ihnen kommt es auf Bildungspoltik an.
Doch Kohl spricht jetzt mit Nachdrücklichkeit über deutsche Babies. Wie man denn eine Schwangere fragen könne, warum sie in dieser Zeit ein Kind in die Welt setze. Kohl empört: „Wann eigentlich wollen die Deutschen Kinder kriegen, wenn nicht jetzt in einer Zeit des Wohlstand?“ Die Youngsters: „In dieser Zeit?“ Es folgt das Deutschlandlied. „Sie, das wollt ich noch sagen“, kommt nochmal Adolf Brüntje angeschlurft, „wir wollen hier in Bremen natürlich keine Diktatur, das wollen wir auch nicht“. Wenn ihm nur einer was zahlen würde für sein Parzellenhäuschen. cis
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