Palästina und das Kriegsende in Europa: Gedenktag oder Siegesfeier
■ taz-Serie: Was am 8. Mai 1945 außerhalb Europas passierte
Für die jüdische Bevölkerung von Palästina gab es vor 50 Jahren Grund genug, den Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland zu feiern. Er wurde als definitive Befreiung der Welt von den faschistischen Greueltaten angesehen, als Beginn einer neuen geschichtlichen Epoche. Allerdings war die Freude durch das Wissen von den furchtbaren Ausmaßen der Shoah wesentlich getrübt.
Den Alliierten im Osten und Westen war man dankbar für den gewonnenen Krieg. Gleichzeitig wurde jedoch den Westmächten, vor allem Großbritannien, mit Verbitterung vorgeworfen, sie hätten außergewöhnliche Rettungsmaßnahmen für die Juden unterlassen. Systematische Sondereinsätze US-amerikanischer und britischer Bomber hätten Transportmittel und -routen, die zu den Todeslagern führten, sowie die Vernichtungsmaschine des Dritten Reichs selbst bombardieren können.
Auch die Organisation von Flüchtlingstransporten nach Palästina hätte zur Rettung vieler Menschenleben beitragen können. Die britische Regierung, Mandatsmacht für Palästina, hielt jedoch an der sogenannten „Weißbuch-Politik“ von 1939 fest, die keine jüdische Masseneinwanderung nach Palästina zuließ. So konnten die jüdischen Institutionen nur sporadisch und unter großen Schwierigkeiten Flüchtlingstransporte an die Küste Palästinas bringen.
Die verhaßte britische Politik der Einwanderungsbeschränkung hatte die Jewish Agency – jüdische Selbstverwaltung unter dem britischen Mandat – jedoch nicht daran gehindert, zur Teilnahme am Kampf der Alliierten aufzurufen. – Bei Kriegsende bemühten sich die nationalen Instanzen der Juden – vorerst vergeblich – um eine internationale Anerkennung eines eigenen jüdischen Staates in Palästina.
Dr. Chaim Weizmann als Vertreter der Jewish Agency und Dr. Nachum Goldmann als Vertreter der zionistischen Weltorganisation und des jüdischen Weltkongresses forderten am 5. Mai 1945 von den Vereinten Nationen eine rasche Entscheidung in der Palästinafrage und die Öffnung des Landes für die Masseneinwanderung von Juden. Dem widersetzte sich sowohl die britische Mandatsmacht als auch die arabische Welt. Die USA und die damalige UdSSR waren jedoch geneigt, die zionistischen Forderungen zu unterstützen.
In Palästina hatten sich 26.000 jüdische Männer und Frauen sowie 9.000 Araber freiwillig zum Kriegsdienst bei der britischen Armee gemeldet. Aber erst kurz vor Kriegsende war die britische Mandatsmacht bereit, die von Palästina geforderte eigene „jüdische Brigade“ anzuerkennen, die im März 1945 an der italienischen Front noch zum Einsatz kam.
Bereits in den Jahren 1942/43, als die Gefahr bestand, daß sich die britischen Truppen vor Rommels Afrikakorps aus Palästina zurückziehen, organisierte die jüdische Untergrundorganisation „Hagana“ eine für den Guerillakrieg ausgebildete Sondereinheit. Um diese Elitegruppe herum entstand nach der Staatsgründung 1948 die neue israelische Armee.
Später wurde dem Sieg über den Faschismus nur relativ wenig Platz in israelischen Geschichtsbüchern und Memoiren eingeräumt. An Stelle der Feier des Sieges in Europa trat der nationale „Gedenktag für die Opfer und Helden des Holocausts“. Erst jetzt, zum 50. Jahrestag des Sieges, soll auch der VE-Day (Victory in Europe) in Israel wieder offiziell gefeiert werden. Als Begründung dafür wird angegeben, daß die vielen Neueinwanderer aus der ehemaligen UdSSR auf dieser Tradition bestehen. Amos Wollin
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