Berliner Tagebuch: Der Frieden, den uns die Russen geben
■ Berlin nach der Befreiung: 9. Mai 1945
Foto: J. Chaldej / Voller Ernst
Frieden ... Seit heute nacht ist Friedenszustand.
Wir glaubten an Glocken, ersehnten Entdunkelung, erwarteten das Ende ewiger Entbehrungen, furchtbarster Opfer, quälenden Leids. So sehr viele die Dinge in die Katastrophe laufen sahen, so sehr haben sie an einen Frieden gedacht, den wir zu bestimmen hätten. Es war kein politisches Friedensbild, keine Repräsentationsspekulation, sondern eine bloße Entlastung des menschlichen Herzens, ein Ruhigwerden der Seele, ein Erlöschen des Hasses. Nun haben wir den, den die Russen uns geben.
Sie haben Schnaps, Sekt, Wein, und sie trinken. Es ist so natürlich. Abends glüht der Himmel, und die Mainacht, von Flieder und Holunder durchduftet, ertrinkt stundenlang im taumelnden Lärm der Siegesböller, Friedenssalute, pfeifenden und Kapriolen schlagenden Leuchtraketen.
Russen schießen Salut über der bisherigen Hauptstadt des Kontinents. Die Deutschen schauen zu oder haben die heilgebliebenen Rolläden heruntergelassen, weil sie diese Nacht des Sieges mehr noch als alle anderen, die vorangingen, fürchten.
So zerplatzt mit den gleißenden Leuchtspuren auch manche letzte Illusion. Ein Feuerwerk ist der Friede, ein Feuerwerk für die, die es anzünden, und für die, über denen es abgebrannt wird. Matthias Menzel
„Die Stadt ohne Tod“, Carl Habel Verlagsbuchhandlung, Berlin 1946.
Matthias Menzel ist das Pseudonym für Karl Willy Beer (1909–1979). Beer war politischer Redakteur der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. 1946 gab es Auseinandersetzungen um seine Tagebücher, weil der Autor „den ganzen Krieg über“ den „Reich-Artikeln von Goebbels Konkurrenz“ gemacht habe (Tagesspiegel vom 10.8.1946).
Er war Mitherausgeber der Dokumentation „Unser Kampf in Frankreich vom 5.6. bis 25.6.1941“ (1941)
Recherche: Jürgen Karwelat
Die Serie „Berliner Tagebuch“, die in den vergangenen Wochen jeden Tag an dieser Stelle erschien, ist mit diesem Text beendet.
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