Ausschau nach Gutem

■ Geistige Landesverteidigung: Die ehemalige Generalkonsulin Gabriele Holzer hat ein patriotisches Buch über das österreichisch-deutsche Verhältnis geschrieben

In der Regel verfassen Diplomaten Berichte für höhere Dienststellen oder stilvoll formulierte Einladungen zu Abendempfängen. Bisweilen feilen sie auch an Ansprachen zu Bedenktagen aller Art, im Einzelfall schreiben sie – in der Herbstblüte eines erfüllten Lebens – ihre Memoiren. Hauptsächlich freilich üben sie sich in der ersten Diplomaten-Tugend: der Diskretion.

Gabriele Holzer hat nun ein Buch geschrieben: „Verfreundete Nachbarn. Österreich–Deutschland. Ein Verhältnis.“ Als Gabriele Matzner ist die nunmehrige Vizedirektorin der Diplomatischen Akademie zu Wien auch hierzulande keine Unbekannte.

Von 1986 bis 1992 versah sie den Dienst der österreichischen Generalkonsulin in Berlin. Doch der kundige Blick der Diplomatin bleibt vom Patriotismus umnebelt, jede der 208 Seiten ist ein Beitrag zur geistigen Landesverteidigung. Einmal in Wallungen gekommen, gerät der Autorin manches ins Visier: Deutsche Überheblichkeit, die Insensibilität selbst von wohlmeinenden Deutschen, die Österreich irgendwie als Inland betrachten; voller Abscheu berichtet die Autorin, „ein deutscher Sprecher kommentierte 1994 für den ORF sogar den Opernball, auf der Bühne des Burgtheaters wird getüscht“. Da wird die Patriotin hellhörig: Rehabilitiert Wolfgang Schäuble nicht eben den Nationenbegriff? Leistet die FAZ nicht Jörg Haider publizistischen Beistand? Hat sich nicht auch Peter Glotz schon mal danebenbenommen? Und Botho Strauß einen Essay geschrieben? Und sehnt sich Kinkel nicht nach einem Sitz in UN-Sicherheitsrat? Naiv, wer hier noch nach Ambivalenzen Ausschau hielte. Finstere Mächte sieht die Autorin am Werk. Ein antideutsches Buch hat es sicher nicht werden sollen, doch den „deutschen Freunden“ wollte sie annoncieren, der kleine Nachbar sei verunsichert. Jetzt ist es also raus: Gabriele Holzer hat Angst. Zur Auflockerung plaziert sie Erbauliches; so solle Österreich „nach Gutem Ausschau halten und Schlechtes fernhalten“. Dieses fröhliche Motto ist auch das der Autorin.

Das Lachen bleibt im Halse stecken. Über das, was hier zu Buche schlägt, würde sich ein Wort zu verlieren nicht lohnen, handelte es sich nicht um ein Dokument einer in Österreich verbreiteten Geisteshaltung, man könnte beinahe sagen: um eine Selbstbezichtigung. Der deutsche Beobachter, der glauben könnte, kleingeistiger Patriotismus sei allein Sache des katholisch-konservativen Österreichs, der irrt. Es wuchert auch in der Sozialdemokratie. Die Sehnsucht nach der weltpolitischen Nische, die Verstörtheit, wenn ein origineller Gedanke geäußert wird, die Tradition, kritische Geister verbal auszubürgern, um sie – sobald verstorben – zu umarmen, ist auch hier beheimatet.

Bei Gabriele Holzer heißen all jene Österreicher, die selten etwas Positives über ihr Land zu berichten wissen, das „gnadenlos Gute“. An anderer Stelle nennt sie sie „hauptstädtische Großventilatoren des Geistes“; jedes Wort ein Ressentiment. Der antiintellektuelle und antiurbane Gestus hat Tradition in Österreich. Spätestens seit dem Fin de siècle gilt die Metropole als „überreizt“, „Geist“ ist ihnen nur in homöopathischen Dosen erträglich.

Das „gnadenlos Gute“, eine Handvoll Leute also, die mit spitzer Feder und schroffen Worten die Zustände in ihrem Land beschreiben, nicht selten an Österreich leiden, gedeihen von Seite zu Seite zum Hauptfeind. Denn die betreiben, so sieht es Gabriele Holzer, ein gar verderbliches Geschäft, „die weitere Schwächung österreichischen Selbstbehauptungswillens“. Fatalerweise schriebe dieses „gnadenlos Gute“ immer wieder von Mißständen, die Jörg Haider erst erfolgreich gemacht haben. Jörg Haider fahre bloß noch die Ernte ein.

Die Logik ist bestechend. Wer also sagt, daß es in Österreich viele Nazis gegeben hat, wer den Jubel beklagt, mit dem Hitler in Österreich empfangen wurde, wer sein Grausen über einen traditionellen österreichischen Antisemitismus zum Ausdruck bringt und den Nachweis zu führen sucht, daß die Untertanenmentalität in Österreich weit weniger abgebaut wurde als etwa in der Nachkriegs-Bundesrepublik, wer auch noch hinzufügt, warum das so ist, dem geschichtlichen Werden des Landes, aber auch der heute etablierten Politik und den traditionellen Eliten eine Mitschuld zuweist – der arbeite also Jörg Haider und seinen „Freiheitlichen“ zu.

Sozialwissenschaftliche Studien, die den hohen Anteil an Konformisten in Österreich belegen, die verzögerte Debatte der Verantwortung am NS-Regime referieren oder den im europäischen Vergleich beachtlichen Sockel antisemitischer Ressentiments nachweisen, geraten der Autorin entweder nicht in den Blick oder werden in Zweifel gezogen.

Hilft gar nichts mehr, bleibt Polemik. So schreibt Holzer, man könne, folgt man dem „gnadenlos Guten“, „den Eindruck gewinnen, ohne die Österreicher wären die europäischen Juden vielleicht verschont geblieben“. Daß nie jemand solches auch nur im entferntesten geäußert hat, versteht sich von selbst.

Das Buch sei empfohlen. Jörg Haider kennt jeder. Doch das geistige Milieu, eine Mentalität, die die Nachricht vom Skandal immer für skandalöser hält als den Skandal selbst, eine Staatsidee also, die Haider erst gedeihen läßt, mag für manche Leser eine Entdeckung sein. Robert Misik

Gabriele Holzer: „Verfreundete Nachbarn. Österreich–Deutschland. Ein Verhältnis“. Kremayr & Scheriau 1995, 208 S., 39,80 Mark