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■ Mit Italiens Rentnern auf du und duDas neue Ratespiel

Rom (taz) – Endlich soll er stehen, Italiens Rentenkompromiß. Zwanzig Stunden Nonstop-Verhandlungen nach fast sechs Wochen täglicher Konfrontation und einer Vorgeschichte von nicht weniger als dreißig Jahren.

Doch der Arbeitgeberverband rümpft die Nase. „Alles viel zu lasch, zu weit auf die lange Bank geschoben“, so Industriellensprecher Luigi Abete. Die Chefs der drei großen Gewerkschaftsverbände sehen zwar nahezu all ihre Forderungen erfüllt. Doch von der Basis laufen zahlreiche Faxe Unzufriedener ein, denen die Kompromißbereitschaft ihrer Vertreter zuweit geht.

Das Kernstück des Kompromisses ist eine Modifizierung des bisherigen Systems der „Anzianitätspensionen“: In Italien konnten Arbeiter oder Selbständige bisher nach 35 Arbeitsjahren in Rente gehen und bekamen sofort den vollen Betrag. Da dies durchschnittlich schon bei 50jährigen der Fall ist, haben viele Italiener ihren Lebensplan auf zwei Karrieren hin geordnet: Bis 50 arbeitet man für die Pension, die dann die Basis für eine zweite Tätigkeit bildet. Man richtet eine Espressobar ein oder wird nun Anlageberater. Das System hat Unmengen Geld verschlungen und den Arbeitsmarkt nachhaltig beeinflußt. Oft genug nutzten von den Betrieben mit viel Geld ausgebildete Fachleute ihr Wissen und machten ab 50 ihrem Ex-Betrieb Konkurrenz.

Nach der Einigung zwischen Gewerkschaften und der Regierung Dini soll das nun weitgehend anders werden: Erstens kann niemand mehr vor dem 53. Lebensjahr in Pension gehen, und dieses Mindestalter wird innerhalb von zwölf Jahren auf 58 angehoben. Zweitens werden die Renten nun nach dem sogenannten kontributiven System ausgegeben: das heißt, die Rente des einzelnen wird auf der Basis dessen berechnet, was er vorher an Beiträgen bezahlt hat; bisher wurden die Renten allgemein nach Tätigkeitsbereich und Branche berechnet. Allerdings, drittens: Wer heute weniger als 18 Arbeitsjahre aufweist, wird bei seiner Pensionierung künftig nach einem gemischten System seine Renten berechnet bekommen. Und wer vorzeitig aufs Altenteil will, muß sich kräftige Abstriche von der Vollrente gefallen lassen.

Die Regierung feiert die Einigung als Garantieleistung für die Haushaltskonsolidierung. Fachleute merken aber schon jetzt an, daß die Rentenreform wohl vor allem eines bewirken wird: eine kräftige Aufstockung des Personals für die Berechnungen, denn, so ein Sprecher der autonomen Gewerkschaft „Gilda“: „So viele Fallstricke und Unklarheiten auf einmal – das muß denen schon einer nachmachen.“

Die Aktienmärkte sehen das wohl auch so – nach einem kurzen Aufschwung bei Bekanntwerden der Einigung rutschten Kurse und Lira wieder kräftig ab. Die Makler hatten gehört, welch konfuses Werk da auf Italiens Kassenwarte zukommt. Werner Raith

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