: Juristen fordern Antidiskriminierungsgesetz
■ Europäischer Juristenkongreß in München: Deutsche Gesetze ermöglichen die Diskriminierung von Minderheiten / Anwälte plädieren nun für eine Neuregelung
München (taz) – In der Bundesrepublik ist das alles erlaubt: Schilder vor Lokalen mit der Aufschrift „Dunkelhäutige haben hier keinen Einlaß“. Wohnungsanzeigen in Zeitungen: „Wir nehmen alles, nur keine Ausländer“. Türsteher in Diskotheken, die „alles, was südländisch aussieht“, nicht hineinlassen. Denn in der Bundesrepublik gilt die sogenannte Vertragsfreiheit – das Recht, mit wem auch immer über was auch immer Verträge abzuschließen. Und das Gegenteil: jene, die man nicht mag, auszuschließen von Angeboten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, bei der Vergabe von Leistungen oder Waren. Das Recht, mit seinem Eigentum verfahren zu dürfen, wie man will, steht über der Pflicht, Minderheiten auch nur respektvoll zu behandeln.
Daß diese wirtschaftsliberale Regelung zur Rassendiskriminierung mißbraucht werden kann, davon will die Bundesregierung nichts wissen. Schließlich sei das Land bereits 1966 dem „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ beigetreten. Dumm nur, daß diese Übereinkunft – im Unterschied zu anderen europäischen Ländern – nicht umgesetzt wird. Statt dessen verweist die Regierung auf Artikel 3 des Grundgesetzes. Dort sei die Gleichheit aller Menschen normiert und festgehalten, Ungleichbehandlungen mithin verboten. Bloß: Das Grundgesetz gilt nach Ansicht der Juristen nur als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, nicht aber im privatrechtlichen Bereich. Allein das Bundesarbeitsgericht hat auch für den Privatmenschen anerkannt, daß für ihn die Grundrechte gelten.
„Dukelhäutige haben hier keinen Einlaß“
Rassismus und Gesetz – ein Themenkomplex, mit dem sich am vergangenen Wochenende Juristen aus ganz Europa in München beschäftigten. Der Kongreß „Avocats Europeens contre le rassisme“ (Europäische Juristen gegen Rassisumus) ging gestern zu Ende. Der Berliner Rechtsanwalt Kay-Thomas Pohl hat das Treffen mitorganisiert. Seiner Meinung nach findet Diskriminierung von Minderheiten in Deutschland eben nicht durch diskriminierende Gesetze statt, sondern skurrilerweise gerade durch die gesetzliche Gleichbehandlung. Dadurch nämlich besteht kein Schutz vor rassendiskriminierender Auslegung.
Deutschland steht, was diese Freiheiten anbelangt, im europäischen Vergleich relativ einsam da. In den Niederlanden beispielsweise trat 1994 ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz in Kraft, eine Gleichbehandlungskommission wurde ins Leben gerufen und die Verbandsklage zugelassen. Flankierend hat das oberste Gericht eine Umkehr der Beweislast bei diskriminierenden Vorkommnissen zuerkannt. „Wenn es nach Rassismus riecht“, so der niederländische Rechtsanwalt Hermann J. E. Veerbeek, „dann findet eine Umkehr der Beweislast statt“. Ein Fall: 1982 machte ein Bürger niederländischer Herkunft geltend, von einer Wohnungsbaugesellschaft diskriminiert worden zu sein. An Hand von Statistiken legte er dar, daß im Vergleich zum prozentualen Anteil an der Bevölkerung die Gesellschaft weniger Wohnungen an Nichtniederländer vergeben hatte. Das Gericht forderte nun von der verklagten Gesellschaft einen Gegenbeweis, daß keine rassistischen Motive hinter der ungleichen Behandlung lagen. Sie verlor den Prozeß.
Nun fordern deutsche Anwälte ein Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland – das wichtigste Ergebnis der Münchener Tagung. Die Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen, Kerstin Müller, will sich dafür einsetzen. „Noch im Oktober wollen wir eine Anhörung zum Thema durchführen und dann ein Gesetz auf den Weg bringen.“
Bislang wurde ein Antidiskriminierungsgesetz in der Bundesrepublik allein von der PDS 1993 entworfen – aber kaum diskutiert. „Lag dies wirklich nur daran, daß die unbeliebte PDS diesen Entwurf vorgestellt hat?“ fragt Anwalt Matthias Zieger aus Berlin in einem lesenswerten Aufsatz im Berliner Anwaltsblatt.
Auch das Polizei-, das Asyl- und das Strafrecht standen in München auf der Tagesordnung. Auch hier hinkt die Bundesrepublik hinterher. Nur die Volksverhetzung und die Aufstachelung zum Rassenhaß sind strafbar. Selbst die menschenverachtendste Rede, sofern sie nur in einem allgemeinen Ton gehalten ist, ist sanktionslos möglich. So wäre es in Deutschland wohl kaum strafbar, wenn jemand einen neuen Füher forderte, um das Ausländerproblem zu lösen. Die Beleidigung wäre nur dann strafbar, wenn eine bestimmte Person angegriffen wird.
In Spanien dagegen gewann eine Jüdin einen Beleidigungsprozeß in einem ähnlichen Fall. Die Richter ließen es genügen, daß damit die Juden überhaupt beleidigt würden und somit eine einzelne Person klagen dürfe.
Wolfgang Wieland, Vorsitzender des republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Vereins und Vorsitzender der Bündnisgrünen in Berlin, erinnerte an ein Wort von Heinz Galinski: „Die Juden starben nur, weil sie Juden waren“ und ergänzte in Erinnerung an Solingen: „Die Türken starben nur, weil sie Türken waren.“ Julia Albrecht
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