■ Nachruf
: Ein Mann der ersten Stunde

Kurz vor dem 50. Jahrestag der Befreiung Bremens vom Faschismus starb am 26. April ein Mann, der großen Anteil am Aufbau der Demokratie nach 1945 hatte, und der über drei Jahrzehnte einer der bekanntesten IG Metaller in unserer Stadt war. Johann Reiners war ein Mann der ersten Stunde in Bremen.

Als Sohn einer bitterarmen Korbflechterfamilie aus einem Dorf bei Bremerhaven trat er 1931 der KPD bei und kämpfte in Berlin gegen den aufkommenden Faschismus. Von 1932 bis 1939 betrieb er in Bremen ein Malergeschäft und wurde dann auf die Atlas-Werke zwangsverpflichtet.

Sofort nach der Besetzung begann Reiners mit dem Wiederaufbau der Betriebe und der Gewerkschaften. Bereits am 14. Mai 1945 organisierte er auf den Atlas-Werken einen provisorischen Arbeiter- und Angestelltenausschuß, aus dem am 26. Mai ein Betriebsrat unter seiner Führung hervorging. Wie in vielen anderen Betrieben ging der Betriebsrat nicht nur an die Wiederaufnahme der Produktion sondern auch energisch an die Entnazifizierung, der sich die Betriebsleitung dieses ehemaligen Rüstungsbetriebes nicht zu widersetzen wagte. Anders als das spätere bürokratische Fragebogen- und Spruchkammerverfahren der Amerikaner sorgte diese Entnazifizierung von unten tatsächlich für eine Entfernung der Nazis, wenn auch nur zeitweilig.

Johann Reiners arbeitete in der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus (KgF) mit und wurde in den 25er Ausschuß gewählt, der die Neugründung der Gewerkschaften vorbereitete. Als Lehre aus der Zersplitterung der Arbeiterschaft in der Weimarer Republik trat er sowohl für eine Einheitsgewerkschaft als auch für den Zusammenschluß von SPD und KPD zu einer einheitlichen Arbeiterpartei ein. Die Gewerkschaftseinheit wurde erreicht, nicht aber die politische Einigung der Arbeiterparteien, die sich ab Herbst 1945 wieder getrennt gründeten und bald auch wieder bekämpften. Johann Reiners, der letzte Überlebende aus dem 25er Ausschuß, hat das Ergebnis der Jahre 1945-47 stets zwiespältig gesehen. Bremen gehörte den Amerikanern, die nicht daran dachten, ein sozialistisches Experiment zuzulassen, schreibt er in seinen Lebenserinnerungen, und immer wieder hat er über die Enttäuschung gesprochen, daß statt des erhofften gesellschaftlichen Neuaufbaus der Wiederaufbau einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung zustande kam. Als großen Erfolg bewertete er allerdings die Schaffung der Einheitsgewerkschaft. In ihr war er bis zu seinem Tode tätig.

1946 wurde Johann Reiners zum Kassierer und Geschäftsführer der Bremer IG Metall gewählt, und dieses Amt übte er bis 1970 aus. Er hat seine Tätigkeit nie – wie er schrieb – als „Buchhalter der Bewegung“ begriffen, sondern wollte in der Gewerkschaft die gesamten gesellschaftlichen Interessen der Lohnabhängigen wahrnehmen.

Schon beim ersten Metallerstreik in Bremen 1951 organisierte er ein Kulturprogramm für die Streikenden. Seine Erfolge in der Öffentlichkeits- und Kulturarbeit der IG Metall in den fünfziger Jahren erscheinen uns angesichts der gegenwärtigen Krise der Gewerkschaften geradezu unglaublich. Reiners gab seit 1956 eine dreimonatlich erscheinende Bremer IG-Metall-Zeitung im Illustriertenformat heraus, schrieb regelmäßig plattdeutsche Rundfunksendungen für Radio Bremen, in denen er gemeinsam mit seiner Sekretärin über Gewerkschaftsfragen sprach und baute ein umfangreiches Kulturprogramm auf.

All das trug dazu bei, daß die Bremer Metallgewerkschaft ihre Mitgliederzahl in den fünfziger Jahren mehr als verdoppeln konnte. Es verwundert nicht, daß Reiners die gewerkschaftliche Entwicklung seit den sechziger Jahren sehr kritisch begleitet hat. Er beklagte Entpolitisierungstendenzen und den Rückgang der eigenen kulturellen Aktivitäten, die in den Gewerkschaften immer stärker sozialpartnerschaftliches Denken und eine Versicherungsmentalität bewirkten.

In der Geschichtsaufarbeitung und –vermittlung, lag seine Haupttätigkeit in den letzten 25 Jahren. Er schrieb in den Veröffentlichungen des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt und publizierte 1983 seine Autobiographie „Erlebt und nicht vergessen“ (Fischerhude, Verlag Atelier im Bauernhaus). In vielen Artikeln und Vorträgen, bei Ausstellungen, in Rundfunkinterviews, in Diskussionen mit Schulklassen und im Arbeitskreis Bremer Arbeiterveteranen hat er seine Erfahrungen in der Arbeiterbewegung vermittelt.

Nicht nur die Gewerkschaftsbewegung , sondern auch beide Arbeiterparteien, waren Teil seines Lebens, denn nach der ultralinken Wendung der KPD Anfang der fünfziger Jahre verließ er die Kommunistische Partei und schloß sich 1957 um politisch nicht heimatlos zu sein der SPD an, deren Politik er allerdings häufig kritisierte.

Für die Geschichtsschreibung war Johann Reiners ein Glücksfall. Ihr diente er nicht nur als erzählfreudiger und eigensinniger Zeitzeuge, sondern auch dadurch, daß er große Teile des Bremer Gewerkschaftsarchivs vor dem Wegwerfen bewahrt hat. Von Gewerkschaftsprotokollen aus der Kaiserzeit bis zu Unterlagen aus den 60er Jahren hat er Tausende von Dokumenten und Bildern gesammelt. Ohne diese Sammlung wäre manche Untersuchung zur bremischen Geschichte nicht möglich gewesen.

Heinz-Gerd Hofschen