: Zwischen den Stühlen
Drahtseilakt: Kubanische Schriftsteller aus dem Exil und von der Insel lesen im Haus der Kulturen der Welt und in der literaturWERKstatt Berlin ■ Von Bert Hoffmann
Leere Seiten in der Anthologie, leere Stühle auf dem Podium. Zwölf kubanische Schriftsteller und Dichter waren nach Berlin geladen, sechs von der Insel und sechs, die im Exil leben. Brücken bauen wolle man, so die Veranstalter vom Haus der Kulturen der Welt und der literaturWERKstatt Berlin, und zitierten Julio Cortázar: Eine Brücke ist erst eine Brücke, wenn sie begangen wird.
Doch für diese Brücken braucht es Ausreisegenehmigungen und Visa, und in Kuba bekommen Autoren diese über den Verband der Kubanischen Künstler und Schriftsteller, UNEAC. Oder auch nicht. Denn die Kulturgewaltigen der Insel fühlten sich brüskiert: Neben einigen Schriftstellern in Funktion und Würden hatten die Berliner Organisatoren auch etliche jüngere und unbequeme Autoren ausgewählt – und die UNEAC-Oberen mit dieser Auswahl vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch aus dem Exil hatte man kubanische Schriftsteller eingeladen, ohne vorher das Plazet aus Havanna zu erbitten. Man zog also die ursprüngliche Zusage zurück und beschloß, das Berliner Treffen en bloc zu boykottieren. Nur zwei der sechs eingeladenen Inselkubaner, die Dichter Yorge Yglesias und Rolando Sánchez Mejias, setzten sich über diesen Beschluß hinweg und reisten auf eigene Faust und per Privateinladungsvisum nach Berlin. Die Brücke bleibt ein Drahtseil. Dabei hat inzwischen auch Kuba die Versöhnung mit dem Exil offiziell auf die Tagesordnung gesetzt, die krude Zweiteilung in Insel-„Kubaner“ und Exil- „Würmer“ abgeschafft. Auch in der Kulturpolitik gibt es vorsichtige Annäherungen. Im vergangenen Mai fand in Stockholm das erste Treffen zwischen einer offiziellen Delegation von der Insel und Schriftstellern aus dem Exil statt, bei der man einander die Unteilbarkeit der kubanischen Kultur beteuerte – daß kubanische Literatur gleichermaßen kubanisch ist, egal, ob sie nun in Miami, Madrid oder Havanna geschrieben wird.
„Außerhalb“ Kubas nicht tolerierbar
„Die Kubaner reisen jetzt viel“, kommentierte das lakonisch Heberto Padilla am Rande der Berliner Lesungen. War Padilla in Kuba über lange Jahre die Unperson Nummer eins, verkörpert er heute das, was man eine neue Versöhnlichkeit nennen könnte. Im Jahr 1968 hatte Padilla für seinen Gedichtband „Außerhalb des Spiels“ den wichtigsten Poesiepreis des Landes erhalten – und dann wurde an ihm in aller Schärfe ein Exempel statuiert, mit dem die Machthaber zeigten, daß sie kein „Außerhalb“ in Kuba dulden: Padilla wurde als „Konterrevolutionär“ verhaftet und zu einer demütigenden „Selbstkritik“ gezwungen.
Der „Fall Padilla“ markiert den größten Kulturskandal der kubanischen Revolution, und für eine ganze Reihe von Intellektuellen in Europa und Lateinamerika führte er zum Bruch mit Kuba. Inzwischen hat UNEAC-Chef und Politbüromitglied Abel Prieto in vorsichtiger Formulierung die damalige Politik und die inszenierte „Selbstkritik“ als Fehler bezeichnet. Und Heberto Padilla erweist sich als alter Mann mit ausgesprochen moderaten Ansichten, mit denen er in der exilkubanischen Gemeinde in den USA nachgerade zu einer kleinen radikalen Minderheit gehört.
Doch diese Versöhnlichkeit ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere zeigt sich an der Dichterin Maria Elena Cruz Varela, die jetzt erstmals in Deutschland liest. 1989 wurde sie in Kuba mit dem Nationalpreis für Poesie ausgezeichnet. Dann aber, als sie öffentlich politische Veränderungen forderte und mit anderen die oppositonelle Gruppe „Criterio Alternativo“ (Alternative Meinung) organisierte, wurde sie zur Staatsfeindin. Anderthalb Jahre saß sie wegen „konspirativer Tätigkeit“ im Gefängnis; seit letztem Jahr ist sie im Exil. Wie an Padilla damals steckt der kubanische Staat an ihr heute exemplarisch die Grenzen ab, was „außerhalb“ ist und nicht mehr toleriert wird. Noch im Exil bleibt sie Unperson.
Eine Paranoia der Extreme
Wenn Schriftsteller zum „Fall“ werden, dann fallen sie doppelt: Sie werden nicht nur Opfer der jeweiligen Repressalien oder Drohungen, sondern der politische Konflikt um sie begräbt in der Regel auch ihr literarisches Werk unter sich. Vermutlich haben mehr Leute Solidaritätsadressen an Padilla (oder Rushdie) unterzeichnet als seine Bücher gelesen. Die Lesungen in Berlin (und in der Folge zum Teil auch in anderen deutschen Städten) bieten so auch die Möglichkeit, die kubanische Literatur zu bergen, die unter den Trümmern der politischen „Fälle“ verschüttet liegt.
Für Jesús Diaz ist die Einladung nach Berlin eine Rückkehr in die Stadt, in der sein Exil begonnen hat: Der Autor des großen Revolutionsromans „Die Initialen der Erde“ war mit einem Stipendium des DAAD zu Gast in der Stadt, als er durch einen martialischen Drohbrief des kubanischen Kulturministers („Du hast keine Gnade verdient, Jesús“) faktisch ausgebürgert wurde. Seit letztem Jahr arbeitet er an einer Filmakademie in Madrid. Heute abend wird er erstmals aus seinem neuen, während des Berlin-Aufenthalts geschriebenen Roman „Die Haut und die Maske“ lesen (erscheint demnächst bei Piper). In immer wechselnden Perspektiven beschreibt er die Dreharbeiten eines Films in Havanna und entfaltet ein nuancenreiches Spiel mit den verschiedenen Ebenen: des Drehbuchs aus den Siebzigern, der heutigen Realität, den Drehbuchpersonen und ihren Schauspielern.
Gerade bei den auf Kuba lebenden Autoren hatten die Veranstalter nicht auf Prominenz gesetzt. So bieten die 44 Gedichte und Erzählungen in der zur Veranstaltungsreihe erscheinenden Anthologie einen interessanten Einblick in einen Teil der kubanischen Literatur, der hierzulande kaum wahrgenommen wird. Die Seiten 121 bis 129 sind, wie eingangs erwähnt, allerdings weiß bis auf die Paginierung. Zensur in letzter Minute durch Kubas KP? Ganz im Gegenteil: Vorgesehen war hier eine Erzählung von Guiellermo Cabrera Infante, dem großen Romancier Havannas („Drei Traurige Tiger“), der seit drei Jahrzehnten aus dem Londoner Exil Gift und Galle spuckt. Er zog seinen Text zurück, weil nach seiner Sicht der Dinge die Mehrheit der Schriftsteller in der Anthologie „das Regime Fidel Castros unterstützen“. Und er meint damit nicht etwa nur die Autoren von der Insel, sondern auch den in Kuba verfemten Jesús Diaz. Zwischen der Paranoia der Extreme ist es ein weiter Weg zur Versöhnung der kubanischen Literatur.
Heute: Jesús Diaz und Leonardo Padura Fuentes*; Donnerstag: Raúl Ortega Alfonso* und Zoé Valdés; Freitag: Raúl Rivero* und Maria Elena Cruz Varela. Haus der Kulturen der Welt, 20 Uhr
„Der Morgen ist die letzte Flucht. Kubanische Literatur zwischen den Zeiten“. Anthologie, Hg.: Thomas Brovot/Peter B. Schumann. Edition diá 1995, 220 Seiten, 28 DM.
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