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Dokumentation„Lehren aus der Vergangenheit“

■ Ansprachen von Boris Jelzin, Bill Clinton und Helmut Kohl in Moskau

Anläßlich der Feiern zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Moskau sprachen gestern u.a. der russische Präsident Boris Jelzin, US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl. Wir dokumentieren die Reden in Auszügen. Jelzin hielt seine Ansprache während des Veteranenaufmarsches, Clinton sprach zur Eröffnung des Weltkriegsmuseums. Kohls Rede auf dem abendlichen Bankett wurde uns vorab zugeleitet.

Boris Jelzin

„Von hier, vom Roten Platz, sind am 7. November 1941 unsere Großväter, Väter und Brüder an die Front marschiert, um die Hauptstadt und die Unabhängigkeit Rußlands zu verteidigen. In seinen hirnverbrannten Plänen wollte Hitler unser Volk versklaven, Moskau verschwinden lassen und die Einwohner der Stadt in Konzentrationslager stecken.

Die Asche des Bösewichts ist von Winde verweht worden. Aber Moskau und Rußland stehen! Und werden für Jahrhunderte stehen bleiben! Die Städte der europäischen Staaten sind aus den Ruinen auferstanden. Die slawischen und die anderen Völker der Welt sind nicht versklavt worden. Aber in den Archiven sind Zeugnisse der unheilvollen Absichten erhalten. Und die abgekühlten Öfen von Auschwitz, Maidanek und anderen Todesfabriken erlauben es nicht, die blutigen Verbrechen der Nazi-Anführer zu vergessen. Wir dürfen nicht zulassen, daß die giftigen Samen des Faschismus sprießen. Und wir werden dies auch nicht zulassen.

Ein halbes Jahrhundert nach Ende des Krieges leben Rußland und Deutschland in Frieden. Das russische und das deutsche Volk mußten vieles durchleben und zogen ihre Lehren aus der Vergangenheit.

Die Zeit des Kalten Krieges, der jederzeit in einen atomaren übergehen konnte, ist hinter uns geblieben. Die tödliche Gefahr der Konfrontation zwischen den Weltmächten ist vorbei.“

Bill Clinton

„Wir sind heute als Freunde zusammengekommen, um unseren gemeinsamen Sieg über den Faschismus zu feiern, um an die Opfer zu erinnern, die diejenigen, die dies möglich gemacht haben, erbracht haben. Mutige Männer und Frauen unserer beiden Nationen bekämpften einen gemeinsamen Feind mit Heldenmut. Ihre Partnerschaft war im Kampf geschmiedet worden, durch Opfer gestärkt und in Blut zementiert. Ihre außerordentliche Anstrengung zeigt uns noch heute, was möglich ist, wenn unsere Völker in einer gerechten Sache zusammenarbeiten.

Ich sage heute zu Ihnen, Präsident Jelzin, und zu allen Völkern Rußlands und den anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion: der Kalte Krieg hat unsere Fähigkeit eingeschränkt, richtig zu würdigen, was Ihr Volk gelitten hat und wie Ihr außerordentlicher Mut geholfen hat, den Sieg voranzubringen, den wir alle heute feiern. Jetzt müssen wir alle sagen: Sie haben eines der großartigsten Kapitel in der Geschichte des Heldentums geschrieben.

Ich bin heute im Namen des ganzen amerikanischen Volkes gekommen, um unseren tiefen Dank für alles auszusprechen, was sie gegeben haben und was sie verloren haben, um die Kräfte des Faschismus zu besiegen. Genauso wie Russen und Amerikaner vor 50 Jahren zusammen gegen das gemeinsame Übel gekämpft haben, müssen wir heute zusammen für das gemeinsame Wohl kämpfen.

Wir müssen für ein Ende der fürchterlichen Grausamkeit von Kriegen arbeiten, für ein Ende der sinnlosen Gewalt des Terrorismus. Wir müssen für den Aufbau eines vereinigten, wohlhabenden Europas arbeiten, für den Frieden für alle unsere Völker. Das sind unsere heiligsten Aufgaben und unsere feierlichsten Verpflichtungen.“

Helmut Kohl

„Das unsagbare Leid, das dieser Krieg über die Menschen brachte, hat sich ins Gedächtnis unserer Völker eingebrannt. Die historische Verantwortung bleibt: Das nationalsozialistische Regime in Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg entfesselt. Es hat den Vernichtungsfeldzug – zuerst gegen Polen – und dann den Völkermord an den europäischen Juden geplant und begangen.

Wir erinnern uns hier in Moskau an das millionenfache Unglück, das Hitlers Krieg über die Russen und die anderen Völker der Sowjetunion gebracht hat. Schreckliches wurde den Menschen angetan. Ich verneige mich vor den Toten und trauere mit den Müttern, mit den Witwen und den Waisen. Wir gedenken der Soldaten aus so vielen Völkern, die gefallen sind oder in Kriegsgefangenschaft ums Leben kamen. Ich erinnere auch an Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen, besonders in meinem eigenen Land.

An die nachwachsenden Generationen müssen wir die alles entscheidende Lehre aus der Barbarei dieses Jahrhunderts weitergeben: Friede beginnt mit der Achtung der unbedingten und absoluten Würde des einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens.

Diese gemeinsame Überzeugung hat uns heute hier zusammengeführt. Auch jetzt ist Europa noch nicht frei von Unfrieden und Unterdrückung. Ebensowenig dürfen wir an diesem Tag verschweigen, daß das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht allen Menschen in Europa – auch nicht in Deutschland – persönliche Freiheit und die Herrschaft des Rechts verhieß.

Heute sind Kalter Krieg und kommunistische Diktatur überwunden. Ich wünsche mir von Herzen, daß Rußland als demokratischer Rechtsstaat dazu seinen eigenen Beitrag leistet. Wir wollen mit einem demokratischen Rußland als Freunde und Partner in einer freien und friedlichen Welt leben.“

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