Schirm & Chiffre: Reichstagsbrand und Bettenbörse
■ Medien in Berlin: Die Berliner Kulturbox (respektive digitale Botschaft) kurz vor der Enthüllung
Ingo Braun hatte sich mit einer goldbetreßten Livree geschmückt (Gedanke am Rande: Neuerdings zeigt der urbane Mann wieder Sinn fürs Kostüm). Schließlich galt es, die bevorstehende Neueröffnung der KULTURBOX zu annoncieren. Die um einen ausgedehnten Konferenztisch (Teak) gespreizte JournalistInnenschar griff in die ausgelegten Keksteller und vernahm es mit Interesse.
Folgendes: Während Christo/ Jean-Claude (CJC) die Aktivitäten der „Verhüllter Reichstag GmbH“ dirigieren, schmieden einige Berliner NetzwerkerInnen (Ingo Braun, Jürgen Specht, Susanne Appelt und andere) an einem medialen Begleitprojekt. Sie wollen das KUNSTGROSSEREIGNIS ins weltumspannende Internet bringen. Dabei soll auf CJCs Aktion gleichsam das übrige Berliner Kunstgeschehen aufgesattelt werden, um derart (huckepack) ins Rampenlicht des weltweiten Netzinteresses zu rücken. Raffiniert.
Und so soll das Ganze aussehen: Ab nächster Woche wird die Kulturbox Infos zur Vorgeschichte des Projektes, zu Leben und Werk von CJC und zur Geschichte des Reichstages anbieten. Mit Beginn der Aktion sollen dann zusätzlich Texte und Bilder zum aktuellen Verhüllungsstand eingespeist werden. Weitergehen wird auch die Debatte um die politische Symbolik des Projekts: In einem „virtuellen Parlament“ sollen Abgeordnete (von Süssmuth bis Gysi) und sonstige (von Siedler bis Diner) ihre Statements als Hypertexte ablegen. Das nichtvernetzte Publikum kann sich in der Kongreßhalle mit Hilfe von dort aufgestellten öffentlichen Terminals einbringen.
Parallel zum Großereignis CJC wird die Kulturbox eine virtuelle Galerie der Berliner KünstlerInnen einrichten. Touristische Hilfestellungen und eine Bettenbörse (Reservierung per E-Mail möglich) komplettieren das Programm. Dabei geht es, so Ingo Braun, jedoch nicht nur darum, Werbung für CJC und Berlin zu machen, sondern dem Publikum schon mal „einen Ausblick auf die Zukunft der Informationsgesellschaft“ zu bieten. Langfristig würden die KulturboxerInnen gern ein modernes „Stadtinformationssystem“ schaffen, so etwas wie eine ständige „digitale Botschaft der Kulturmetropole Berlin“.
Durchaus eine beliebte Idee: Unlängst verkündete Daimler- Benz-Topmanager Kleinert, die Hauptstadt müsse endlich „on- line“ gehen. Die Kulturbox hat jedoch von der „debis“ eine Abfuhr erhalten. Das Projekt soll der Benz-Tochter schlichtweg „zu groß“ gewesen sein. Der Senat läßt unterdessen fleißig Plakate kleben. Hauptstadt-Binnenmarketing à la „Partner für Berlin“.
Die Kulturbox finanziert sich nun zum größten Teil durch verhaltene Selbstausbeutung aller Beteiligten. Trotzdem glaubt Ingo Braun an den Erfolg. Starttermin ist der 15. Mai. Dann soll der Server ans Netz gehen (http:// www.kulturbox.de). Noch kriegt man unter der Adresse nur ein Bauschild zu sehen. Darauf die launige Mitteilung: „Die Datenautobahn endet hier, wir arbeiten daran ...“ Martin Muser
PS: Die Kulturbox sucht noch dringend nach (ehrenamtlichen) ProgrammiererInnen und ÜbersetzerInnen (Englisch).
PPS: Alle Kulturschaffenden aus Berlin und Brandenburg, die es noch nicht getan haben, werden von den KulturboxerInnen ersucht, Veranstaltungshinweise und Projektinformationen für Juni/Juli in „digitalisierter Form“ (auf Diskette) einzuschicken an: J. Specht, Perleberger Straße 7, 10559 Berlin.
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