: Förderlicher Sprung in den Pool
Was freie Theatergruppen in Berlin – bei allen Unterschieden der Produktionsbedingungen – von dem niederländischen Produzentenverein vtp lernen könnten (wenn sie wollten) ■ Von Marcel Beaumart
Daß es für die freien Theater Berlins seit 1989/90 Zeit ist, umzudenken und auf eine veränderte Finanzlage flexibel zu reagieren, wird niemand ernsthaft bestreiten. Die öffentliche Förderung freier Gruppen ist seit der Wiedervereinigung einschneidend reduziert worden; das Publikumsinteresse hat aus verschiedenen Gründen stark abgenommen. Gleichzeitig lassen die freien Gruppen die selbstkritische Analyse des eigenen Anteils an der Situation – etwa durch Mängel beim „Self-Marketing“ – oft noch vermissen.
Angesichts der existenzbedrohenden Probleme der freien Gruppen plädiert Gerd Hunger vom Berliner „Büro für freies Theater“ bereits seit langem unter anderem für den organisatorischen Zusammenschluß freier Theater. Wie es funktionieren kann, machen die NiederländerInnen den Deutschen schon seit bald zwanzig Jahren vor: die „vereeniging van theater producenten“ (vtp), mit Sitz in Amsterdam, hat eine beachtliche Erfolgsbilanz vorzuweisen. Deren Arbeit könnte für die freien Theatergruppen Berlins durchaus eine Anregung sein, auch wenn es einige Strukturunterschiede zwischen dem niederländischen und dem deutschen Theater gibt.
Der Pool von 25 ProduzentInnen aus ganz Holland wird nicht öffentlich gefördert. Er ist neben dem Schauspiel in den Bereichen Musical, Tanz, Musik, Ballett und Kabarett tätig. In diesen Sparten übernimmt er grundsätzlich für jedes interessierte Ensemble oder jede Gruppe das gesamte Kulturmanagement von der Tourneeplanung bis zum UrheberInnenrechtsschutz. Daneben tritt vtp als Tarifpartei auf, die mit den Gewerkschaften für alle von ihr betreuten KünstlerInnen Löhne und Arbeitsbedingungen aushandelt. Der wesentliche Unterschied zu deutschen Verhältnissen ist aber: die Finanzierung ist im Management mit eingeschlossen. Hierzulande gibt es im freien Theater dagegen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – allenfalls ProduktionsleiterInnen, die sich ausschließlich um Öffentlichkeitsarbeit oder die Vermittlung von SchauspielerInnen kümmern.
Die entstandenen Produktionen verkauft vtp komplett an die Theater, Opern- oder Konzerthäuser: 90 Prozent der Theater in Holland „empfangen“ nämlich nur, das heißt sie haben kein eigenes festes Ensemble, sondern kaufen – mit öffentlichen Mitteln – holländische oder auch ausländische Produktionen. Die „empfangenden Theater“ sind Eigentum der Gemeinden; freie Theater im deutschen Sinne gibt es in Holland nicht. Man unterscheidet nur zwischen den „empfangenden“ Bühnen und privaten Bühnen mit eigenem Ensemble einerseits und subventionierten und nicht subventionierten ProduzentInnen andererseits.
„Wenn uns Konzept und künstlerische Fähigkeiten zum Beispiel einer Theatergruppe überzeugen, hat sie die erste Hürde schon genommen“, so der vtp-Vorsitzende Harry Kies. „In enger Abstimmung mit den jeweiligen Spielstätten wird dann weiter abgewogen, welche Gruppe zu einem bestimmten Spielplan am besten paßt. Dabei haben wir natürlich durchaus die Chancen auf Publikumserfolg mit im Auge.“ Aber nicht nur das; denn die Ansprüche der vtp an ihre Arbeit sind erheblich, nicht nur was das Management, sondern auch was die künstlerischen Projekte angeht.
Für die Theatergruppen, für die die Organisation das Management übernimmt, sind die Aussichten auf Engagements sehr hoch. Harry Kies führt dies auf die jahrelange Erfahrung der vtp zurück, deren Mischung aus Kunstsinn und Gespür für den Markt die Theater inzwischen vertrauen. Seiner Auffassung nach wären in Holland sehr viel mehr TheaterschauspielerInnen und -regisseurInnen arbeitslos, wenn es nicht Anlaufstellen wie die vtp gäbe, durch die Theaterarbeit professionell wird.
ProduzentInnenpools à la vtp – ein Zauberwort also, mit dem auch den freien Theatern der Hauptstadt geholfen werden könnte? Wohl nicht ganz, aber das Modell ist zumindest teilweise auf die andersartige deutsche Theaterlandschaft übertragbar. Zwar gibt es im deutschen freien Theater aus verschiedenen Gründen kaum ProduzentInnen, die auch die Finanzierung gewährleisten, aber dennoch wäre einiges am Beispiel vtp zu lernen.
Vor allem eines zeigt sich: Konkurrenz durch Zusammenschlüsse kann belebend wirken. Für die Berliner Gruppen bedeutete das, eine solche Konkurrenz als Anregung zu verstehen, sich mehr um eigenes künstlerisches Profil zu bemühen. Das heißt konkret: man müßte sich im Spielplan etwas mehr festlegen, gezielt Schwerpunkte oder Richtungen markieren.
So wie die Amsterdamer ProduzentInnen die Entscheidung für eine bestimmte Produktion in Abstimmung mit den jeweiligen Häusern treffen, müßten die freien Theatergruppen dies durch gegenseitigen Austausch über ihre Pläne tun. Ein solcher Austausch würde durch gruppen- und spielstättenübergreifend arbeitende ProduktionsleiterInnen – wie es sie vereinzelt ja schon gibt – wesentlich erleichtert. Auslandsgastspiele als weitere Einnahmequelle – bei holländischen Ensembles üblich – wären dann ebenfalls einfacher zu organisieren. Bislang finden Auslandsgastspiele Berliner Gruppen, zumindest längere, recht selten statt.
Ein anderer Vorteil des Zusammenschlusses von freien Theatern wäre es, in Finanzverhandlungen mit der Politik die Kräfte zu bündeln, mit einer Stimme zu sprechen. Damit hat man in Amsterdam gute Erfahrungen gemacht. Schließlich sollte daran gedacht werden, auch die Werbung für die Theater gemeinsam zu organisieren und die Publikumsbetreuung zu verbessern.
All das darf natürlich nicht zu einem reinen Etatismus führen, der den künstlerischen Anspruch dem ökonomischen Erfolg unterordnet. Auch müssen die deutschen Gruppen auf veränderte Budgets anders reagieren als die KollegInnen in Holland, wo es beispielsweise eine vielfältige Förderung von privater Seite gibt. Am geringen Interesse deutscher SponsorInnen am freien Theater etwas zu ändern, ist zwar den Versuch wert, dürfte aber sehr schwer sein – die GeldgeberInnen betrachten die freien Bühnen, man weiß es, als wenig geeigneten Ort der Selbstdarstellung.
Hinzu kommt weiterhin das traditionell größere kulturelle Interesse im Nachbarland, das es dort schwieriger macht, öffentliche Förderung in Zeiten knapper Kassen zu reduzieren. Last, but not least, ist das Sozialversicherungssystem für KünstlerInnen in Holland deutlich besser. Scheidet dort jemand aus einer freien Theatergruppe aus, fällt sie/er nicht, wie bei uns, gleich auf die unterste Stufe des sozialen Netzes.
Möglicherweise hebt die europäische Einigung den diesbezüglichen Standard auch hierzulande an. Momentan stoßen die Vorschläge einer Angleichung an dieses System oder vergleichbare andere bei deutschen PolitikerInnen immer nur auf taube Ohren. Für das freie Theater ein Grund mehr, sich aus alten Strukturen zu lösen und Eigeninitiative zu zeigen ...
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