: Mehr Ausnahmen als Ozonmoleküle
Umweltministerin Merkel will laut internem Papier erst ab 300 Mikrogramm Ozon Fahrbeschränkungen erlassen / Außerdem gibt es für fast jeden eine Ausnahmeregelung ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) — Die UmweltministerInnen werden bei ihrer heutigen Sitzung vergeblich auf einen konkreten Gesetzesvorschlag zum Thema Ozon aus dem Hause Merkel warten. Die Bundesministerin will erst in ein paar Wochen einen Entwurf zur Bekämpfung des Sommersmogs vorlegen. Einen Referentenentwurf haben ihre Mitarbeiter allerdings schon erarbeitet. Erst wenn drei Meßstationen 300 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft über eine Stunde registriert haben, sollen die obersten Straßenverkehrsbehörden die individuelle Fahrerei verbieten, schlägt das dreiseitige Papier vor, das der taz vorliegt. Bei 180 Mikrogramm sollen Autofahrer gebeten werden, möglichst wenig und nicht zu schnell zu fahren.
Die Ausnahmeregelungen nehmen allerdings fast genausoviel Platz ein wie der eigentliche Vorschlag. Sie dürften bei Verkehrsministerium und ADAC keine Wünsche offenlassen. „Bestimmte Kraftfahrzeuge [sollen] wegen ihres geringen Schadstoffausstoßes von dem Verkehrsverbot ... ausgenommen werden“, fordert der Entwurf aus dem Umweltbundesministerium. Auch wenn sie nicht explizit genannt werden, sind hierunter Autos mit Katalysator zu verstehen. Die „Verkehrsverbote [sollen außerdem] nicht für bestimmte Fahrten zu besonderen Zwecken aus überwiegendem öffentlichen oder privaten Interesse gelten“. Eine nähere Definition, was hierunter zu verstehen ist, fehlt in dem Papier. Aber auch die zuständigen Behörden können das Gesetz aushebeln. Wenn sie „im Hinblick auf die Verkehrsbedürfnisse“ eine Notwendigkeit dafür sehen, können sie Ausnahmen für bestimmte Straßen erteilen. Von Strafen für Gesetzesverstöße ist in dem Papier erst gar nicht die Rede. „Das ist ein Freifahrschein zum Weiterrasen“, urteilt Gila Altmann, Abgeordnete vom Bündnis 90/ Die Grünen. „An der gesundheitsgefährdenden Situation ändert es jedenfalls nichts.“
Weil sich in Bonn so wenig bewegt, haben gestern die vier nördlichen Bundesländer Schleswig- Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen gemeinsam beschlossen, ihre Sommersmogverordnungen zu verschärfen. Sobald 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft erreicht sind, soll auf Autobahnen ein Tempolimit von 90 und auf Landstraßen von 60 Stundenkilometern gelten. Brummis dürfen dann nur noch mit Tempo 60 durch die Gegend fahren. Uneinsichtige müssen allerdings auch hier keine Bußgelder fürchten: Die Länder fürchten ohne eine bundeseinheitliche Regelung rechtliche Schwierigkeiten.
„Unter den SPD-Ländern ist anscheinend ein Wettbewerb entbrannt, sich bei den Verkehrsbeschränkungen gegenseitig zu überbieten“, kritisierte Dionys Jobst (CSU), der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, die Nordländer. Daß aber endlich ein Gesetz her muß, das in ganz Deutschland gilt, wird nicht einmal in konservativen Kreisen bestritten. Denn immer mehr WählerInnen laufen im Sommer keuchend und mit tränenden Augen durch die Gegend, sobald die Werte 120 Mikrogramm Ozon überschritten haben. Bronchitis und Lungenödeme aufgrund von Sommersmog haben in den letzten Jahren zugenommen. Und der Chef des Umweltbundesamts, Heinrich von Lersner, hatte die Öffentlichkeit am Dienstag damit aufgeschreckt, daß es „ernst zu nehmende Hinweise“ aus den USA gäbe, daß Ozon krebserregend sei.
Während beim Wintersmog ein sofortiger Verkehrsstopp tatsächlich zu einer deutlichen Luftverbesserung führt, kann Sommersmog nur mit langfristigeren Strategien bekämpft werden. Denn die chemische Substanz aus drei Sauerstoffatomen kommt nicht unmittelbar aus Auspuffrohren und Schornsteinen, sondern entsteht erst, sobald intensiver Sonnenschein auf Kohlenwasserstoffe und Stickoxide trifft. Es macht also keinen Sinn, erst zu handeln, sobald ein Grenzwert erreicht ist. „Wenn die Ozonmühle durch den Morgenverkehr in Gang gesetzt worden ist, ist für den Tag nichts mehr zu retten“, konstatiert Matthias Bergmann vom Öko- Institut.
Franz Fiedler, Meteorologe an der Uni Karlsruhe, warnt: Obwohl am Wochenende 40 bis 50 Prozent weniger Abgase in die Luft geblasen werden, sinken die Ozonwerte kaum. „Die Quellen müßten also schon einige Tage, bevor das Hoch kommt, reduziert werden“, folgert der Wissenschaftler. Da sich Luft im Durchschnitt allerdings 500 Kilometer am Tag verlagert, kämen andere in den Genuß besserer Luft als die, die ihr Verhalten eingeschränkt hätten. Eine europaweite Regelung erscheint ihm deshalb als unerläßlich.
Untersuchungen in Baden- Württemberg haben ergeben, daß das von SPD und PDS vorgeschlagene Tempolimit von 80 Stundenkilometern für Autos und 60 für Laster, sobald 180 Mikrogramm erreicht werden, nur 12 Prozent der Stickoxide reduzieren würde. Bei den Kohlenwasserstoffen ist die Bilanz noch enttäuschender. Nur zusammen mit Fahrverboten und Betriebseinschränkungen sind also massive Ozonsenkungen zu erwarten.
Aber bis auf die Bündnisgrünen wollen alle Fraktionen Autos mit Katalysator auch durch Sperrzonen fahren lassen. Horst Friedrich von der FDP behauptet gar, 90 Prozent der Ozon-Vorläufersubstanzen stammten aus Nicht-Kat- Auspuffanlagen.
Das ist nachweislich falsch: Allein zehn Prozent des Kohlenwasserstoffs aus dem Verkehr ist auf die Verdunstung von Restbenzin aus dem Vergaser zurückzuführen. Und 46 Prozent der Autowege enden schon wieder, bevor fünf Kilometer zurückgelegt worden sind: In dieser Zeit aber ist der Katalysator noch kalt und läßt 90 Prozent der Stickoxide durch. „Außerdem hat der TÜV Rheinland festgestellt, daß bei der Hälfte aller Kat- Fahrzeuge der Kat entweder kaputt oder schlecht eingestellt ist“, sagt Willi Loose vom Öko-Institut in Freiburg. Die meisten politischen Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, sind eher Aktionismus als tatsächliche Problemlösung.
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