: Ein unverwechselbarer Akzent
„Und vor allem: Was ist ein Urgroßvater?“ (Alejandra Pizarnik) / Jüdisch-lateinamerikanische Literatur: Morgen endet ein Kongreß im Ibero-Amerikanischen Institut ■ Von Tobias Burghardt
Die jüdische Kultur und Literatur hat sich im Verlauf ihrer dramatischen Geschichte mehreren Sprachen anverwandelt, anfangs immer ausgehend von den Muttersprachen Jiddisch und Hebräisch. Es gibt in mehreren europäischen Sprachen eine jeweils eigene jüdische Literaturtradition. Hingegen ist die jüdische Dimension der lateinamerikanischen Literatur hierzulande fast unbekannt. In Lateinamerika, einschließlich Brasilien, befindet sich die jüdische Literatur auf dem Weg der Selbstfindung und Bewußtwerdung als einer kontinentalen Einheit.
1986 und 1988 fanden die ersten beiden jüdisch-lateinamerikanischen Schriftstellerkongresse in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires statt. In Israel erscheint seit mehreren Jahren die spanisch- und portugiesischsprachige Literaturzeitschrift Noaj.
In Berlin veranstaltete das Ibero-Amerikanische Institut in Zusammenarbeit mit dem Latin American Studies Center der University of Maryland at College Park ein mehrtägiges internationales Kolloquium über jüdisch-lateinamerikanische Literatur, das morgen mit einer Klausursitzung endet.
Im Lesesaal der Ibero-Amerikanischen Bibliothek ist noch bis zum 26. Mai die begleitende Buchausstellung „Literatura Judia-Latinoamericana“ zu sehen. Die nachfolgenden Texte sind der ersten jüdischen Anthologie „Panorama de la Poesia Judia“ entnommen (hrsg. von Eliahu Toker, Buenos Aires 1989). Im Vorwort zur Anthologie charakterisiert der argentinische Philosoph und Dichter Santiago Kovadloff die lateinamerikanisch- jüdische Konstellation wie folgt: „Abgesehen von der thematischen Gestaltungsweise ausdrücklich jüdischer Grundwerte gibt es einen unverwechselbaren Akzent, der die subjektive, soziale und historische Erfahrung der lateinamerikanischen Länder darstellt.“
Die in den achtziger Jahren begonnene Demokratisierung Lateinamerikas, zu deren politischen Grundwerten der kulturelle, religiöse und weltanschauliche Pluralismus gehört, hat auch die jüdische Prägung der lateinamerikanischen Wirklichkeit wieder zu neuen Kräften kommen lassen. Sie trägt zum geistigen Erscheinungsbild ganz Lateinamerikas wesentlich bei, und darüber hinaus schreibt sie die mitteleuropäisch- jüdische Literatur während und nach dem Holocaust fort.
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