piwik no script img

Die Armen brauchen eine eigene Wirtschaft

Davison Budhoo kennt die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds von innen. Er weiß deshalb, warum ihre Finanzhilfen versagen, und hat alternative Programme für Entwicklungsländer ausgearbeitet  ■ Von Nicola Liebert

„Genug ist genug“, so überschrieb Davison Budhoo 1988 seinen öffentlichen Kündigungsbrief an den IWF, für den er mehr als zwölf Jahre gearbeitet hatte. Der leitende Mitarbeiter, in Grenada geboren und Sohn indischer Zwangsarbeiter, hatte sich zu einem der schärfsten Kritiker gewandelt. Dabei blieb er jedoch nicht stehen. Es sei vergeblich, sagt er heute, die Abschaffung von IWF und Weltbank zu fordern, „zumindest zum zum gegenwärtigen Zeitpunkt“. Budhoo will die Bretton-Woods-Organisationen (so genannt nach dem Gründungsort des IWF und der Weltbank) lieber mit ihren eigenen Waffen schlagen. „Wir fordern nicht die völlige Abkehr von der bisherigen Politik. Wenn wir nur ein bißchen von der herrschenden Ideologie abrücken, könnten wir auch innerhalb des bestehenden Finanzsystems viel erreichen.“

Bisher sei die Strategie der Bretton-Woods-Organisationen daran orientiert, die Zahlungsfähigkeit verschuldeter Länder zu erhalten. Aufgabe der Wirtschaftspolitik wäre aber, meint Budhoo, knappe Ressourcen zum Nutzen aller Menschen zu verteilen – und nicht nur der Gläubiger. Wo der IWF den Staaten Strukturanpassungsprogramme (SAP) zwangsverordnet, hat die von Budhoo 1991 zusammen mit Gewerkschaften, Kirchen der Karibik und mit Unterstützung skandinavischer Kirchen gegründete „Bretton Woods Reform Organisation“ alternative Strukturanpassungsprogramme (ASAP) ausgearbeitet.

Vor einem halben Jahr wurden die Grundzüge eines ASAP für Guyana veröffentlicht. Im April kam eine 200 Seiten starke Zusammenfassung mit Empfehlungen an die Regierung heraus. Für sein Programm wirbt Budhoo auch bei bundesdeutschen Regierungsstellen, darunter dem Entwicklungshilfe- und dem Außenministerium. Strukturanpassung nach IWF- Schema schreibt stets die Abwertung der heimischen Währung, Privatisierung, den Abbau von Zöllen und des Staatsdefizits vor. Dramatische Kürzungen im Sozialsektor sind unvermeidlich. Hält sich ein Land nicht an die im Geheimen ausgehandelten Bedingungen, werden weitere Kredite gesperrt. Nur in wenigen Fällen hat der IWF allerdings auch nur die selbstgesteckten Ziele erreicht, und wo dies geschah, wie in Chile, waren Verarmung, Umweltzerstörung und Abhängigkeit von ausländischem Kapital der Preis. Budhoo führt die Unicef als Kronzeugin an. Nach deren Berichten sind seit 1982 jährlich mindestens fünf Millionen Kinder unter fünf Jahren in den Ländern des Südens gestorben. Auch ein alternatives Strukturanpassungsprogramm will die Wirtschaftskraft eines verschuldeten Landes wiederherstellen.

Fonds für Arme statt Zinsen für Reiche

Nur steht die Bekämpfung der Armut im Vordergrund und nicht der Schuldendienst. Unter Einbeziehung der gesamten Bevölkerung soll das allgemeine ASAP für jedes Land modifiziert werden. Die wichtigsten Elemente sind ein Sozialfonds für die Armutsbekämpfung, Investitionen in Bildung und Gesundheit, ein Mindestlohn und die verstärkte Produktion von Grundnahrungsmitteln. Exportorientierte Landwirtschaft soll diversifiziert werden, rückt aber in die zweite Reihe.

Auch die Privatisierung von Staatsbetrieben ist im Rahmen des ASAP vorgesehen, allerdings nicht um jeden Preis. „Die Privatisierungsideologie des IWF verschwendet den Reichtum der Bevölkerung“, klagt Budhoo an. Korruption habe etwa in Guyana dazu geführt, daß die Regierung aus dem Verkauf von 14 Unternehmen, darunter die Telefongesellschaft und die Staatsbeteiligung an der Holzindustrie, lediglich 20 Millionen US-Dollar einnahm statt des geschätzten Wertes von 45 Millionen. Budhoo schlägt daher die Ernennung einer Privatisierungskommission vor, die den Einfluß multinationaler Konzerne wie auch einzelner Minister beschränken soll. Ähnlich wie in den osteuropäischen Staaten sollten Unternehmensanteile an die BürgerInnen verteilt werden.

Fragt sich, woher das Geld kommen soll für Investitionen in die Landwirtschaft und die Entwicklung des „Humankapitals“, wie Budhoo sagt – er kann so technokratisch argumentieren wie der IWF. Guyana gehört immerhin zu den ärmsten Ländern der westlichen Hemisphäre und gilt im Vergleich zur Wirtschaftsleistung als der höchstverschuldete Staat der Welt – die Schuldensumme entspricht dem gesamten Bruttosozialprodukt von mehr als sechs Jahren.

„Die Politik des IWF führt zu einer riesigen Verschwendung“, beginnt Budhoo geduldig zu erklären. Zum Beispiel schreibt der IWF der Zentralbank von Guyana vor, Devisenreserven im Wert der Importe von acht Monaten zu horten. Üblich seien allenfalls drei Monate, insbesondere bei einem Land mit relativ sicheren Exporteinnahmen wie Guyana. 130 Millionen Dollar könnten freigesetzt werden, wenn die nutzlosen Reserven abgebaut würden. Allein damit wäre der geplante Sozialfonds auf Jahre zu finanzieren. Budhoo setzt sich darüber hinaus dafür ein, daß auch Entwicklungshilfegelder in diesen Fonds fließen sollen.

Das Banksystem Guyanas steht unter direkter Kontrolle von IWF- Mitarbeitern und wird von der Regierung indirekt subventioniert. Strenge Kreditvergaberichtlinien führen dazu, daß Kleinbauern und -unternehmer kaum Kredite bekommen. Die Bretton Woods Reform Organisation prüft daher, wie Genossenschaften und ländliche Banken für Kleinstkredite geschaffen werden könnten. Ersparnisse gibt es durchaus – unter dem IWF-Regime kommen sie kaum der eigenen Volkswirtschaft zugute.

Guyana soll Modell für andere Länder werden

Ohne umfassende Schuldenerleichterungen kann sich Budhoo eine wirtschaftliche Erholung nicht vorstellen. Für einen teilweisen Schuldenerlaß und die Umwandlung von Krediten in zinsfreie Darlehen hat er detaillierte Vorschläge ausgearbeitet; der Wert der erlassenen Schulden sollte zum Teil ebenfalls in den Sozialfonds eingezahlt werden. Ein internationales „Schuldentribunal“ mit hochkarätigen Fachleuten unter Vorsitz des niederländischen Entwicklungshilfeministers Jan Pronk soll die berechtigten Interessen der Gläubiger und die realistische Leistungsfähigkeit Guyanas abwägen und eine faire Lösung ausarbeiten. Die Frage der Legitimität der Schulden stellt sich für Budhoo gerade im Fall Guyanas. Verantwortlich dafür ist nämlich ein von den USA gestütztes diktatorisches Regime, das erst 1992 durch die erste frei gewählte Regierung seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1966 abgelöst wurde.

Zinsen und Kreditrückzahlungen verzehrten seit 1988 fast zwei Drittel der Exporteinnahmen. Seither muß Guyana auf Geheiß der Bretton-Woods-Organisationen seine Märkte für ausländische Konzerne öffnen. Das Land ist reich an Bauxit-, Gold- und Diamantenvorkommen, und es verfügt über riesige Urwaldgebiete. Die ausländischen Konzerne übernahmen große Teile dieses lukrativen Rohstoffsektors, 80 Prozent des Regenwaldes wurden an Multis, vorwiegend aus Asien, verpachtet, die ungehemmten Raubbau betreiben. Den IWF-Vorgaben folgend, biete Guyana den Konzernen Vorzugsbedingungen, etwa eine zehnjährige Steuerbefreiung und die ungehinderte Abführung der Gewinne, kritisiert Budhoo.

Eine Revision der Verträge mit den ausländischen Investoren ist für Budhoo unabdingbarer Teil des alternativen Strukturanpassungsprogramms. Ähnlich dem internationalen Schuldentribunal schlägt er auch ein Regenwaldtribunal vor, das Bedingungen für die Konzerne festlegen und die Landrechte der indianischen Bevölkerung verteidigen soll.

Am Fall Guyana will Budhoo zeigen, „daß wir mit Hilfe der Bevölkerung und wirtschaftlicher Fähigkeiten ein alternatives Strukturanpassungsprogramm umsetzen können. Tatsächlich sind neben Guyana ASAP-Prozesse in Trinidad und Tobago, Indien und Nicaragua angelaufen, in Antigua und auf den Philippinen werden sie vorbereitet. Die Regierung in Guyanas Hauptstadt Georgetown unter dem von den USA einst als Marxisten bekämpften Cheddi Jagan arbeitet mit der Bretton Woods Reform Organisation zusammen. Bei den im Juni anstehenden Neuverhandlungen des laufenden Strukturanpassungsprogramms mit dem IWF will Jagan zumindest einige der ASAP-Forderungen durchzusetzen versuchen.

Schon jetzt hat die Regierung den Vorschlag, die Devisenreserven zu reduzieren, kurzerhand in die Praxis umgesetzt und auf diese Weise zehn Millionen US-Dollar freigesetzt. „Auf diese Herausforderung an den IWF hätte ich lieber verzichtet“, meint Budhoo mit leichtem Kopfschütteln, aber mild wie immer. „Wir können nicht alle Probleme, die in den letzten Jahrzehnten angehäuft wurden, in einem Jahr lösen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen