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Bonn soll Ankara zwingen

■ Die kurdischen Menschenrechtler Halit Temli und Yașar Ertąs zum Besuch des türkischen Ministers für Menschenrechte, Hacaloglu

Die Rechtsanwälte Halit Temli und Yașar Ertaș sind Rechtsanwälte und in den türkischen Menschenrechtsvereinen (IHD) aktiv. Temli ist stellvertretender Vorsitzender des IHD in Diyarbakir, Ertaș Vorsitzender in Kars. Die taz sprach mit ihnen in Berlin.

taz: In der Türkei werden Menschenrechte verletzt, und es gibt einen Minister, der darüber Berichte verfaßt. Ist das nicht paradox?

Temli: Aus den Berichten des Ministers werden keine Konsequenzen gezogen. Es sieht so aus, als würden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei als ganz normale Erscheinung zur Kenntnis genommen. Viele Vorfälle werden auch unterschlagen oder schöngeredet.

Der Minister für Menschenrechte spricht beispielsweise vom „Demokratisierungsprozeß“. Das ist ein Märchen. Er wird in Bonn von Änderungen des Antiterrorgesetzes sprechen, dabei steht nur ein Paragraph zur Debatte.

taz: Was machen Sie in Deutschland?

Temli: In der Türkei sollten wir wegen unserer Arbeit ins Gefängnis gesteckt werden.

Was war der Vorwurf?

Temli: Dem Menschenrechtsverein in Diyarbakir wurde ein Prozeß gemacht, weil er eine Broschüre herausgegeben hat, in der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und auch in Kurdistan veröffentlicht wurden. Daraufhin hat ein Sicherheitsgericht gesagt, der IHD würde gegen die Interessen der Türkei arbeiten.

Ertaș: Die türkische Regierung versucht in dem Kriegsgebiet jede oppositionelle Stimme zum Schweigen zu bringen. Ginge es nach der türkischen Verfassung, dürften wir nicht verboten werden. Um uns zu verbieten, hat die türkische Regierung ihre eigenen Gesetze verletzt. Davor müssen wir kapitulieren.

Einige deutsche Politiker sagen, Kurden würden in der Türkei nicht per se verfolgt, sondern nur wenn sie bestimmte politische Hintergründe haben.

Temli: Wer in der Türkei sagt, er sei Kurde, muß damit rechnen, in dem Land nicht sicher leben zu können. Türkisches Militär hat zweitausend kurdische Dörfer zerstört. Ist das etwa keine Kurdenverfolgung?

Wie sieht die Menschenrechtslage im Westen der Türkei aus?

Temli: Auch dort gibt es massive Menschenrechtsverletzungen. Beispielsweise werden von der Polizei gesuchte Menschen bei der Festnahme erschossen. Das sind regelrechte Hinrichtungen. Der Minister für Menschenrechte unternimmt nichts dagegen.

Es gibt aber auch Menschenrechtsverletzungen durch die PKK.

Temli: In unseren Broschüren finden Sie auch Berichte, daß die PKK bei der Jagd auf Dorfschützer die Familien und Kinder ermordet hat. Damit so etwas nicht weiter passiert, muß die kurdische Frage mit zivilen Mitteln gelöst werden.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Temli: Daß sie die türkische Regierung dazu zwingt, internationale Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte einzuhalten und die kurdische Frage friedlich zu lösen.

Was heißt zwingen?

Temli: Die deutsche Regierung muß auch von Sanktionen sprechen.

Ertaș: Schließlich ist die Bundesregierung mit Waffenlieferungen an dem Ganzen beteiligt. Sie muß der türkischen Regierung verbieten, diese Waffen gegen Kurden einzusetzen und das dann auch kontrollieren. Interview: Thomas Dreger

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