■ Bonn apart: Doppelte Staatsbürger-Moral
Sie schon wieder, Freiherr von Stetten! Schon einmal mußten wir uns mit Ihnen beschäftigen. Da Sie ein Freund des offenen Wortes sind, war es uns ein leichtes, zu protokollieren, womit Sie sich als CDU-Abgeordneter unter Alice Schwarzers „Paschas des Monats“ unsterblich machten. Über sexuelle Belästigung zum Beispiel haben Sie so Ihre eigenen Gedanken: „Da gibt es Frauen, die gerne belästigt würden, aber nicht belästigt werden und sich mit einer Beschwerde wichtig machen wollen.“ Vergewaltigung in der Ehe? In jeder Ehe, so schrieben Sie Ihrer Bonner Unionsfraktion, gebe es eben „Unlust zu überwinden“, in Wort – und Tat ebenfalls. Und weil mann am Stammtisch nicht nur hockt, sondern auch einen trinkt, versteht es sich, daß Sie die Absenkung der Promillegrenze „für reine Augenwischerei“ halten.
Aber auch Sie, Freiherr, scheinen nicht alles an die große Glocke zu hängen. Bisher kannten wir Sie als unbeugsamen Streiter wider die doppelte Staatsbürgerschaft. Nun müssen wir erfahren, daß Sie Türken und Kurdinnen Wasser predigen und selbst Wein trinken! Ihre ganze Familie – schrecklich, es zu sagen – alles Doppelstaatler! Die Frau, zwei Söhne und die Tochter – alle haben sie den roten Schweizer Paß zusätzlich zum ehemals grauen deutschen! Alles lauter Siebegescheite, die sich – Freiherr, wir zitieren Sie – „sozusagen die ,Rosinen‘ jeder Staatsbürgerschaft heraussuchen“? Jetzt verstehen wir endlich Ihr dunkles Raunen in jener Pressemeldung: „Die doppelte Staatsbürgerschaft ist nur wenigen begründeten Fällen vorbehalten.“
Familie von Stetten – Rosine oder begründeter Fall? Eine schnellere Arbeitserlaubnis in der Schweiz, wenn die Kinder einen Ferienjob brauchten? Das sind Peanuts, keine Rosinen! Die Loyalitätsprobleme, die die Kollegen der Union immer beschwören, sind da von anderem Kaliber: Was tun Ihre Söhne, wenn im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet ein lokaler Gaunerkrieg ausbricht? Greifen die zum Schweizer Offiziersmesser oder zum Sturmgewehr fürs deutsche Vaterland? Fragen über Fragen. In Erwartung Ihrer Antwort Andrea Dernbach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen