Spielplätze für Kinder

Gesichter der Großstadt: Der Architekt Martin Stachat entwarf – gemeinsam mit der Malerin Helga Filter – ein Holocaust-Denkmal aus Erzählräumen  ■ Von Julia Naumann

Eine „Kranzabwurfstelle“ sollte es nicht werden, sondern eine „Stätte, in der Menschen nicht nur in sich gehen, sondern sich auch mitteilen können“. Zusammen mit der Münchener Malerin Helga Filter hat der Köpenicker Architekt Martin Stachat ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas konzipiert, das neben Andacht auch genügend Raum für ein „lebendiges Erinnern“ ermöglicht. Der Wettbewerbsentwurf, der also nicht nur Denkmal, sondern auch Begegnungsstätte werden soll, kam immerhin in die zweite Runde, schied aber in der dritten, entscheidenden Runde aus.

Doch mit dem ersten Preis hat Martin Stachat gar nicht gerechnet, denn „dazu war die Ausschreibung viel zu sehr auf ein Denkmal ausgerichtet“: Für den 50jährigen war vielmehr das Mitmachen und die damit verbundene Auseinandersetzung wichtig.

Für Martin Stachat ist das Holocaust-Denkmal nicht das erste Kunstobjekt, bei dessen Gestaltung er sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzte. Bereits 1980 schuf der gelernte Drechsler gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich in Warschau eine Gedenkstätte für den jüdischen Arzt Janos Korczak. Der Arzt, der im Warschauer Ghetto ein Waisenhaus betrieb, entschied sich, seine Schützlinge nicht allein zu lassen, als sie nach Auschwitz deportiert wurden. Als Erinnerung an Korczak, der sein Leben für die Kinder aufgab, bauten die Brüder Stachat kein Denkmal, sondern zwei therapeutische Innenhöfe in einem Warschauer Kinderkrankenhaus aus, in dem die kleinen Patienten Musik machen und mit überdimensionalen Figuren spielen können. Weil für Martin Stachat Gedenkstätten eben keine glatten „Theaterfassaden“ sein sollen, sondern für ihn immer die „ganzheitliche Gestaltung“ im Vordergrund steht, sind seine Ideen für das Holocaust-Denkmal vielschichtig.

„Die Denkbasis der Bauskulptur ist das geteilte, zerstörte Quadrat.“ Dieses soll daran erinnern, „wie die jüdische Bevölkerung gewaltsam aus der menschlichen Gemeinschaft Europas herausgerissen wurde“. Die daraus entstandenen dreieckigen, begehbaren „Erzählräume“ (Glas und Beton) müssen deshalb wieder mit Leben gefüllt werden. Hier hätten nach Stachats Vorstellung Lesungen, Dokumentationen und Ausstellungen eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und auch der Gegenwart ermöglicht. Doch auch für Trauer und Besinnung wäre genügend Raum gewesen: Die hinterste Ecke des Beton- Dreiecks, die in die Richtung des ehemaligen „Führerbunkers“ zeigt, ist nicht begehbar.

Als die Malerin Helga Filter den diplomierten Architekten, der schon Mitte der siebziger Jahre am Bau des Flughafens Schönefeld beteiligt war und bis zur Wende eine Holzwerkstatt in Adlershof betrieb, im Sommer vergangenen Jahres zur Mitarbeit anfragte, mußte er nicht lange überlegen, denn ihre künstlerischen Vorstellungen paßten zu seinen ethischen Ansprüchen. Stachat, der als Säugling nach dem Krieg nur knapp den Hungertyphus überlebte, hat schon als Kind gelernt, „mit dem Leben verantwortlich umzugehen“. „Dem Wert des Lebens Raum zu geben“, künstlerisch wie im Alltag, ist ein wichtiger Lebensgrundsatz für den Sohn eines Pfarrers. Dazu gehört für ihn die Konfrontation mit der Vergangenheit, auch der Versuch, in der Gegenwart verantwortungsbewußt zu leben. So verweigerte Martin Stachat 1964 den Wehrdienst und schoß während des Studiums stur in den Sand, als man ihn in einem vormilitärischen Ausbildungslager zwingen wollte, auf menschliche Attrappen zu zielen. Berufliche Nachteile hatte er deswegen, wie er grinsend bemerkt, „durch glückliche Zufälle“ aber nie. Nach seiner Drechslerlehre durfte er Architektur studieren und bekam 1987 sogar die Ehrennadel des Ministeriums für Volksbildung für die künstlerische und soziale Betreuung eines Grundschulbaus in Köpenick.

In Köpenick hat der Architekt, der sich schon oft von seinen Vorbildern Wassily Kandinsky und Paul Klee hat inspirieren lassen, auch heute sein Büro. Dort arbeitet er gerade mit an der Neugestaltung der St.-Josef-Kirche in Alt- Köpenick. Aber auch so profane Arbeiten wie der Innenausbau einer Arztpraxis oder der Bau eines Einfamilienhauses beschäftigen den Vater zweier Töchter. Gerne würde er wieder einmal ein Projekt übernehmen, daß dem Konzept der Gedenkstätte in Warschau ähnelt. Am liebsten wieder ein Spielplatz für Kinder, denn die sind es, „die am meisten gelitten haben“.