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„Die sudanesische Kunst liegt im Koma“

Kulturpolitik unter einem islamistischen Regime / Für radikale Scheichs ist Kunst des Teufels  ■ Aus Khartum Karim El-Gawhary

Das einzige, was sich in der Mittagshitze in den Werkstätten der Kunstakademie der „Sudan Universität“ in Khartum bewegt, sind die Ventilatoren an den Decken. Langsam und lautlos verteilen sie den Staub über die wenigen halbfertigen Skulpturen im Raum. Eine Gruppe von Kunststudenten sitzt dösend vor den leeren Werkbänken und wartet auf bessere Zeiten.

Ihre Studienobjekte dürften eigentlich gar nicht existieren. Das ist zumindest die Meinung konservativer islamischer Rechtsgelehrter, laut deren Islaminterpretation figurative Kunst – wie die von den Studenten geschaffene – haram, also nach islamischem Recht verboten sei. Der Mensch als Ebenbild Gottes darf nicht künstlerisch nachgeformt werden, sagen sie.

Die islamischen Rechtsgelehrten sind hier nicht irgendwer. Der Sudan ist eines der wenigen Länder der Welt, in denen die Schari'a, das islamische Recht, zur offiziellen Staatsdoktrin zählt. So herrscht seit der Machtübernahme der „Islamischen Front“ Hassan Turabis mit Hilfe des Militärs vor sechs Jahren eine kulturelle Auseinandersetzung ganz besonderer Art im Land. Die Debatte über die „Islamisierung der Kunst“ gehört zur Tagespolitik.

Doch der Vorhof zu den Werkstätten der Kunstakademie wirkt wie eine Trutzburg, so, als kümmere man sich dort nicht um die ganze Diskussion über islamisch Erlaubtes und Verbotenes: exterritoriales Kunstgebiet. Einer Insel gleich stehen hier die Statuen und Skulpturen, die außerhalb der Universitätsmauern längst zur verbotenen Kunst zählen.

Aber das Eiland des Trotzes ist auch eine Oase der Traurigkeit. „Nenne alle Figuren hier einfach Leiden“, erklärt einer der mutigen Studenten und zuckt auch nicht zusammen, als einer seiner islamistischen Kommilitonen von der technischen Fakultät mit einem demonstrativ laut aufgedrehten Radio des Weges kommt und den Vorhof mit Koranrezitationen beschallt. „Die Leser in Deutschland werden schon verstehen, was wir damit meinen“, sagt der Kunststudent und deutet über den Vorhof, auf dem ein Dutzend depressive Skulpturen in der Sonne glänzen: geknebelt, gefesselt, als Skelette oder halb ausgehungert, mit einer Gruppe von Geiern, die sich aufs Aas stürzen – Regimekritik pur. Daß Derartiges überhaupt mitten in Khartum zu sehen ist, gehört ebenso zu den Paradoxien des Landes wie die Wandzeitungen der Kunststudenten, die offen zum Sturz des Regimes aufrufen.

Die Islamisierung der Kunst beschäftigte die Islamische Front schon Jahre vor ihrer Machtübernahme. Turabi selbst beschwört in seinem 1987 geschriebenen Werk „Kunst und Religion“ die neue islamistische Kunstpolitik. Die islamische Bewegung müsse ein neues Vorbild schaffen, in dem Kunst und Religion eine Einheit bilden, schreibt er. Der Streit um die Islamisierung der Kunst ist auch ein Ausdruck der Brüche, die sich durch die heterogene sudanesische Gesellschaft ziehen. Deren Einflüsse auf die Kunst sind nicht weniger vielfältig als auf die Politik, wo die innersudanesischen Unterschiede zu einem seit 15 Jahren andauernden Bürgerkrieg im Süden des Landes geführt haben. Auch die Kunst bewegt sich irgendwo zwischen Afrika, der arabischen Welt, den Erfahrungen einer im Westen ausgebildeten Kunstelite und dem britischen Kolonialerbe. Auch in der Kunst steht, ebenso wie in der Politik, der Streit um die Einführung der Schari'a im Mittelpunkt. Eine Islamisierung der Kunst bedeutet nichts anderes, als die Arabisierung des Sudan auf die Spitze zu treiben und alle anderen Einflüsse auszuschalten.

Die ständigen Diskussionen über islamische Tabus in der Kunst, über das, was haram ist, bleiben nicht ungehört bei denjenigen, die den Worten Taten folgen lassen wollen. Einmal im Jahr werden die Studenten der Kunstakademie auf ihrer Insel in die sie umgebende Realität zurückgeholt. Niemand weiß genau, woher sie kommen, keiner hält sie auf – die Jugendlichen, die in den letzten drei Jahren vor den Prüfungsterminen in die Werkstätten eindrangen und alle Skulpturen zerschmetterten. Die Studenten der Kunstakademie sprechen von diesen Streifzügen radikaler Islamisten fast wie von einem naturgegebenen Ereignis. So macht sich langsam Resignation in der Akademie breit. „Es ist schwer, sich nicht entmutigen zu lassen“, sagt eine Studentin und öffnet ein Buch mit Kunstdrucken, daß sie aus der Bücherei der Akademie ausgeliehen hat. Jemand hat mit Kugelschreiber über einen Frauenakt des französischen Impressionisten Renoir einen Büstenhalter gemalt.

„Dieses Jahr haben sich nur hundert neue Studenten eingeschrieben, ein Viertel des Vorjahres“, erzählt der Kunstprofessor Ahmad At-Tayyeb Zein Al-Abdeen. „Das Regime geht nicht auf direkte Konfrontation mit uns, sondern trocknet uns langsam aus“, sagen die Studenten. Die Materialschränke der Werkstätten sind leer. „Die sudanesische Kunst liegt im Koma“, faßt ein oppositioneller Künstler diesen Prozeß zusammen. Mit der Machtübernahme der Islamisten wurden Tanz- und Akrobatikgruppen aufgelöst. „Für die“, sagt ein Mitglied der Kunstakademie mit Hinweis auf die Islamisten, „sind Künstler Instrumente des Teufels.“

Auch vor der schreibenden Zunft machten die Islamisten nicht halt. Das Haus des Schriftstellerverbandes wurde konfisziert. Eines Tages fuhren Lastwagen der Armee vor und setzten die Schriftsteller vor die Tür, erzählt ein ehemaliges Mitglied des Verbandes. „Sudanesische Studentenunion“ heißt es heute auf dem Schild am Eingang. Turabis islamistischer Studentenverband ist der neue Mieter des Hauses. Nichts erinnert mehr an die Zeit, als Schriftsteller Lesungen, Ausstellungen und andere Veranstaltungen in Haus und Garten organisierten.

In Khartum finden sich keine Galerien, wenig Theater und nur Kinos mit zweitklassigen Filmen. Den meisten Leuten fehlt es ohnehin am Geld für das Notwendigste zum Überleben. Abends wirken die Straßen wie leergefegt. Was bleibt, ist die Musik, und die gehört zum festen Bestandteil der sudanesischen Volksseele. Aus unzähligen kleinen Kiosken schallen dem Besucher überall in Khartum die neuesten Tophits der sudanesischen Charts entgegen. Hier wird auch deutlich, daß die Islamisten durchaus keine einheitliche Antikunstfront bilden.

Einzelne Rechtsgelehrte wie der radikale Scheich Al-Qoda erklären zwar in ihren fatwas jegliche instrumentale nichtreligiöse Musik zum Tabu und Instrumente wie die Violine, Gitarre oder Trommel zum Klang des Teufels. Die Regierung dagegen distanziert sich von diesen radikalen Kulturwächtern. Eine offizielle Kunstpolitik gibt es jedoch nicht. Derartiges steht nicht auf der Prioritätenliste des von Wirtschaftskrise, Krieg und internationaler Isolation gebeutelten Regimes.

„Wir ermuntern die Menschen, zu singen und Musik zu machen“, sagt Abdel Basit Sibdarat. Der ehemalige Kommunist hat seine politische Farbe gewechselt und ist heute Kulturminister. Er verwahrt sich strengstens dagegen, von offizieller Seite irgendwelche Antikunsterlasse herausgegeben zu haben. Musik sei keineswegs haram und Scheich Al-Qoda ein radikaler Einzelfall. Zum Beweis bittet er seinen Sekretär, ein Transistorradio einzuschalten, aus dem dann zu seiner Zufriedenheit Musik erklingt, und die ist durchaus nicht rein religiös. „Wir können nicht den ganzen Tag dem Koran zuhören. Wir müssen den Tag aufteilen für Lieder, Musik, Reden und den Koran“, erläutert der Minister seine Rundfunkpolitik.

Doch nicht nur das Musikprogramm des staatlichen Radios, auch radikale Scheichs wie Al- Qoda haben ihre Zuhörer. „Sind hier Musiker anwesend?“ fragte Wida'at Ali Suleiman letzten November den Pförtner des Khartumer Musikerklubs. Der deutete nichtsahnend auf eine Gruppe von Männern im Innern des Hauses. Ruhig ging Suleiman auf die Gruppe zu, stach den populären Sänger Khawaji Osman nieder und verletzte zwei weitere Sänger, die ihrem Kollegen zu Hilfe kommen wollten. Er kannte seine Opfer nicht. Die bloße Tatsache, daß es sich um Musiker handelte, reichte für ihn aus, sie zu ermorden.

Gelegentlich veranstalten die Direktoren der Fernsehprogramme Diskussionsrunden, um den radikalen Scheichs das Wasser abzugraben und einem mehr moderaten islamischen Kunstverständnis Platz zu machen. In diesen Debatten wird für eine aufgeklärtere Islaminterpretation plädiert. Aber auch die hat ihren Preis. So wurde der bekannte Sänger Said Khalifa einmal gebeten, seine Lieder umzuschreiben. Texte wie: „Lieber Winzer, seit der Rashiden- Zeit ist mein Weinglas leergeblieben“, sollten, so der Vorschlag eines Moderators, in einem islamisch konformen Sinne umgedichtet werden. Es gibt aber auch Künstler, die fruchtbare Schlüsse aus der Debatte um die Islamisierung der Kunst und die Neudefinition eines neuen sudanesischen Stils zwischen Afrika und der arabischen Welt ziehen.

Einer von ihnen ist der Maler Abdel Basit El-Khatim. In seinem Büro in der pädagogischen Fakultät, unweit der Kunstakademie, hat er einige seiner Exponate ausgestellt. Lokal hergestellte Farben auf weichen sudanesischem Holz, ohne Rahmen auf runden afrikanischen Formen, mit menschlichen Figuren und arabischer Kalligraphie, wirken seine Bilder wie das Potpourri der sudanesischen Kulturdebatte.

El-Khatim gehört zu einer Gruppe von Malern und Kunsttöpfern, die sich „Omdurman-Gruppe“ nennt. Der Name ist Programm: Omdurman, die Stadt am westlichen Nilufer, die heute durch eine Brücke mit Khartum verbunden ist, gilt für die Künstler als das Symbol der Einheit, erklärt der Kunstprofessor Al-Abdeen. Die bis heute noch dörflich anmutende Stadt wurde vor hundert Jahren vom Mahdi, dem religiösen und politischen Führer der sudanesischen Aufstandsbewegung gegen die Briten, gegründet. Damals waren die Stämme aus allen Teilen des Landes in Omdurman zusammengekommen, um dort ihre Zelte aufzuschlagen, und das von den Briten besetzte Khartum am jenseitigen Ufer zu belagern und am Ende zu erobern. „Omdurman“, sagt El-Khatim, „ist für mich mehr als eine Stadt. Es ist sichtbar in der Architektur, den Beziehungen der Menschen untereinander und der Landschaft: Dort kann man noch heute die Einheit der verschiedenen Stämme fühlen. Es ist eine starke Seele, die Unterschiede verschmelzen kann.“

Omdurman ist der Versuch, die Brüche in einem Land, das zwischen Afrika und der arabisch-islamischen Welt auseinanderzufallen droht, wieder zusammenzufügen. Es ist die Perspektive, die den Sudan von einem destruktiven zu einem fruchtbaren Ort machen kann. „Wir sehen uns hoffentlich bald wieder in Omdurman“, verabschiedet sich denn auch der Kunstprofessor Al-Abdeen auf dem Weg zum Ausgang der Khartumer Kunstakademie zweideutig.

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