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Den Müttern die Sorge, den Vätern das Recht?

■ Parteien und Verbände streiten sich über das gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung / Eheliche und nichteheliche Kinder sollen künftig gleichgestellt werden

Berlin (taz) – Im Bonner Wasserwerk wurde gestern heftig über das Für und Wider der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung diskutiert. Die SPD hatte zur öffentlichen Anhörung ihres Vorschlags zur Reform des Kindschaftsrechts fünfundsechzig Interessensverbände eingeladen, darunter auch den Verein alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) als Sachverständigen. Bereits im Vorfeld hatte Veronica Klingemann, Vorsitzende des VAMV, den SPD- Vorschlag, die gemeinsame Sorge als Regelfall einzuführen, als „völlig unrealistisch“ eingestuft, da bislang nur drei bis vier Prozent der geschiedenen Paare das gemeinsame Sorgerecht praktizieren, das heute schon auf Antrag gewährt werden kann. – Ähnlich wie der Vorschlag der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vom Januar dieses Jahres sieht der SPD-Vorschlag ein automatisches gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung vor. Das Gericht soll sich nur bei „Gefährdung des Kindeswohls“ oder auf Antrag eines der Scheidungskandidaten einschalten. Der Verein der Alleinerziehenden hingegen sieht darin nur eine Ausblendung des Problems aus dem Scheidungsprozeß und keine Lösung.

Unter dem Motto „Ja zum gemeinsamen Sorgerecht – auf Wunsch beider Eltern, nicht als Regelfall“ gründete der VAMV bereits im Februar ein Bündnis mit Frauenbeauftragten, dem paritätischen Wohlfahrtsverband und verschiedenen Frauenverbänden. Das FDP-Fraktionsmitglied im Bundestag, Heinz Lanfermann, kann die Aufregung der Regelfallgegner „nicht so ganz nachvollziehen“. Schließlich, sagte er der taz, ginge es „nur“ um eine Veränderung der Ausnahmeregelung. Bislang kann das gemeinsame Sorgerecht auf Antrag beider Eltern erteilt werden, nun soll es im Scheidungsfall zur Regel werden und die alleinige Sorge zu einer Ausnahme, die beantragt werden kann.

Rita Grießhaber von Bündnis 90/ Die Grünen hält die Aufregung aber für durchaus berechtigt. Sie befürchtet, daß mit dem gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall wieder einmal die alleinerziehenden Mütter das Nachsehen haben, denn sechsundachtzig Prozent der Scheidungskinder leben bei der Mutter, nur zwölf Prozent beim Vater. In den bisher vorgelegten Gesetzesvorschlägen würden nur die Rechte des Vaters, nicht jedoch seine Pflichten definiert. Beispielsweise könnte ein Vater Einspruch erheben, wenn Mutter und Kind – aus beruflichen Gründen – von Süddeutschland nach Berlin ziehen, nur weil ihm die langen Anfahrtszeiten für Besuche nicht zuzumuten seien. Andererseits dürfe der nicht betreuende Elternteil hinziehen, wohin er will, selbst wenn darunter der Kontakt zum Kind leidet.

Der Gesetzesvorschlag der SPD will in „Alltagsfragen“ dem erziehenden Elternteil alleinige Entscheidungsbefugnis zugestehen. Da jedoch nicht präzisiert sei, wo die Alltagsfragen aufhören und die wichtigen Probleme anfangen, bei denen zukünftig beide Partner Mitspracherecht haben, könnte ein ständiges Tauziehen um die Erziehung der Kinder entstehen, bemängelt Rita Grießhaber. Sie sieht mit der gemeinsamen Sorge das Wohl des Kindes eher gefärdet als gewahrt.

Einig sind sich hingegen alle Parteien und Verbände in der Frage der Gleichstellung unehelicher Kinder mit ehelichen. Geplant wird eine Gleichstellung im Erbrecht und die Möglichkeit für nicht verheiratete Paare, gemeinsame elterliche Verantwortung zu übernehmen.

Nicht verheiratete Väter können demnach in der Zukunft, während sie mit Partnerin und Kind in Gemeinschaft leben und auch nach der Trennung, die gemeinsame Sorge beantragen. Bisher steht diese bei Paaren ohne Trauschein allein der Mutter zu. Jutta Geray

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