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Bigotte Grüne

■ betr.: „Grüner muß Landtagskan didatur aufgeben“, taz vom 10.5. 95; „Ich sah keine Chance, mich zu verweigern“, „Lieber auf Nummer Sicher“, taz vom 11. 5. 95

Herr von Schmeling beschämt durch seinen Umgang mit dem von ihm im Krieg Erlebten nicht nur diejenigen, die lieber verdrängen oder beschönigen, wie seine Interviewerin, Andrea Dernbach, im taz-Kommentar schreibt. Er beschämt durch seine mich beeindruckende Ehrlichkeit und Nachdenklichkeit auch all die Grünen und Linken, die jetzt mit markiger Ausgrenzung ihre eigene „Sauberkeit“ beschwören. Denn: Wären sie als 21jährige im Krieg und in so einer Situation gewesen – würfen sie da heute auch so selbstgewiß den ersten Stein? Joachim Burkart,

Berlin-Lankwitz

Als 20jähriger Soldat ist der Direktkandidat für den Landtag von NRW „schuldig“ geworden: Er hat 1944 ein Erschießungskommando geleitet, das einen Mann erschossen hat, der von einem Kriegsgericht zuvor zum Tode verurteilt worden war. Nach Einschätzung von Militärhistorikern hätte er sich der Beteiligung an der Erschießung nur bei Gefahr für das eigene Leben verweigern können. Der Mann hat später seine Vergangenheit nicht verschwiegen, er ist – so ist zu lesen – zum bedingungslosen Pazifisten geworden und hat jeden Kriegsdienst in jeder Armee gerade unter Hinweis auf die eigene Geschichte bekämpft. Gleichwohl ist er untragbar als grüner Kandidat. Die Funktionäre seiner Partei drängten ihn zum Rückzug.

Die Kriegsrichter, die das Todesurteil gefällt haben, haben ihr Richterhandwerk bis zur Pensionierung fortsetzen können. Die gleichen grünen Funktionäre, die den Mann zum Rückzug drängten, setzen sich heute für „Friedenseinsätze“ der Deutschen Armee auf dem Balkan ein. In Berlin habe ich vor 18 Jahren heute führende Politiker der Grünen als Funktionäre allerlei maoistisch-stalinistischer Splittergruppen kennengelernt: KPD/AO, KBW. Ich kann mich noch an die haßerfüllte Fratze eines Mannes erinnern, der heute als einer der führenden Köpfe der Grünen gefeiert wird und den Rechtsstaat im Munde führt. Er stand mir gegenüber, als ich mit anderen, politisch nicht gebundenen Studenten auf dem Campus der TU die Versammlungsfreiheit für die trotzkistischen Studenten durchsetzen half. Gegen die Meute des „Kommunistischen Studentenverbandes“, des Studentenverbandes der KPD/AO, der meinte, Trotzkisten eine Versammlung in der Uni verbieten zu müssen, mit Stahlknüppeln und Totschlägern. Mir wurde bei dieser Gelegenheit angeboten, eine Zigarette auf meiner Stirn auszudrücken, und angekündigt, daß ich bei Gelegenheit dafür zahlen werde, daß ich mich der KSV-Meute entgegengestellt habe. Der Mann war damals älter als 20 Jahre, er hatte für seine Aktivitäten im KSV keinen Einberufungs- und Marschbefehl erhalten. An seiner, in grünen Kreisen wohlbekannten Biographie stört sich kein Funktionär und grüner Wahlverein, obwohl sie keine 50 Jahre zurückliegt. Jony Eisenberg, Berlin

Es paßt offenbar gut ins Denkmuster von der guten Basis und der abgehobenen Funktionärsclique, wenn der Fall Wilhelm von Schmeling zum Anlaß genommen wird, der grünen Parteiführung ein rein wahltaktisches Verhalten vorzuwerfen.

Wilhelm von Schmeling hat seine Tat aus dem Jahre 1944 als Schlüsselerlebnis begriffen, sie war für ihn Auslöser für sein Engagement in der Friedensbewegung. Er hat mit einzelnen darüber gesprochen, aber er hat es nicht zum Thema der Kreismitgliederversammlung gemacht, die ihn für die Landtagswahl nominiert hat. Ebensowenig haben diejenigen Mitglieder des Kreisverbandes, die davon wußten, darüber diskutiert. Sie müssen sich heute den Vorwurf gefallen lassen, daß ihr Anspruch, die Geschichte am Beispiel Wilhelm von Schmelings aufzuarbeiten, nur halbherzig beziehungsweise überhaupt nicht umgesetzt worden ist. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, die Mehrheit der Mitglieder des Kreisverbandes bewußt im unklaren gelassen zu haben. Man hätte der Kreismitgliederversammlung, wenn man es denn mit dem Thema Aufarbeitung ernst gemeint hätte, die Möglichkeit geben müssen, über Wilhelm von Schmeling die Frage, ob er unter solchen Umständen für ein politisches Amt bei den Grünen kandidieren dürfe, ausführlich zu diskutieren. Daß dies erst nach seiner Wahl geschah, ist nicht zu entschuldigen.

Jürgen Trittin war als Vorstandssprecher zu einer Wahlveranstaltung der Oberhausener Grünen eingeladen. Er hat am selben Tag aus der Zeitung über den Fall Schmeling erfahren. Er hat Wilhelm von Schmeling aufgefordert, seine Kandidatur sofort zurückzuziehen, weil er die doppeldeutige Umgangsweise des Kreisverbandes Oberhausen und des Kandidaten selbst (einerseits etwas wissen, andererseits aber die politische Auseinandersetzung darüber verhindern) nicht akzeptieren konnte. Es ist paradox, nun ausgerechnet Jürgen Trittin zu unterstellen, er habe damit in linker Verdrängungsmanier und aus wahltaktischen Gründen das Problem „Wie gehen die Grünen mit der Nazi- Vergangenheit ihrer Mitglieder um?“ unter den Teppich gekehrt. Eine „Raus-mit-der-Altlast“-Haltung, wie die taz heute unterstellt, ist dies nicht, sondern der Beginn einer Diskussion, die der Kreisverband Oberhausen jetzt endlich begonnen hat. [...] Anne Nilges, Pressesprecherin,

Bündnis 90/Die Grünen,

Bornheim

Jürgen Trittins Reaktion war völlig richtig. Ein Mensch und Freund, der ein Menschenleben auf dem Gewissen hat, ist nicht geeignet, eine Partei mit den politischen Ansprüchen der Grünen bei Wahlen zu repräsentieren. Berechtigte Maßstäbe, die an andere Parteien angelegt werden, in jüngster Zeit vorzugsweise an die PDS, gelten selbstverständlich auch für Bündnis 90/Die Grünen selbst.

Damit wird Wilhelm von Schmeling nicht unrecht getan. Nicht zu kandidieren heißt weder, verurteilt zu werden, noch, die Freundschaft zu kündigen, ihn gar rauszuschmeißen, nicht mehr miteinander zu sprechen und zu arbeiten (im Gegenteil), und spricht ihm auch nicht sein ehrliches Schuldbekenntnis und seine ebenso ehrliche Reue ab.

Unter den derzeit bekannten Umständen war er schlicht (und nicht mehr) kein geeigneter Kandidat. Das ist selbstverständlich auch den Grünen vorzuhalten, die schon davon gewußt haben sollen. Sie haben offensichtlich zuwenig Verantwortung empfunden und zuwenig nachgedacht, denn es handelt sich schließlich um eine Angelegenheit, die keineswegs nur lokale Oberhausener Bedeutung hat.

Und sie ist nicht nur nach den Maßstäben individueller persönlicher Beziehungen untereinander zu beurteilen gewesen. Nach diesen hat Wilhelm von Schmeling im Unterschied zu vielen anderen Tätern unsere Achtung verdient. Martin Böttger, Vorstands-

mitglied B 90/Grüne KV Bonn

Seine Schuld muß Wilhelm von Schmeling allein tragen, aber seine Reue und Umkehr haben ihn als Bürger voll wiederhergestellt. Man erkennt, meine ich, im bekanntgewordenen Sachverhalt nichts, was dieser Einschätzung entgegenstünde.

Trotzdem ist er der grünen Partei peinlich geworden, scheint er unwürdig, sie noch politisch zu repräsentieren. Wie gesichtslos wirkt das, wie brüchig, selbstgerecht und verlogen, wie erfüllt vom durchdringenden Gestank unbefleckter moralischer Sauberkeit. Klaus Brandt, Gelsenkirchen

In diesem Jahr bin ich genau zehn Jahre in der Partei von Bündnis 90/Die Grünen, und bis heute habe ich immer geglaubt, in dieser Partei würden sich überwiegend Menschen engagieren, die Lehren aus unserer unrühmlichen Vergangenheit gezogen haben, eine tolerante Haltung allen Menschen gegegenüber besitzen und auch Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten und, wenn möglich, zu verwirklichken bereit sind.

Ich glaube dies immer noch. Deshalb bin ich wirklich erschüttert über den Artikel in der taz vom 11.5. Da ich den Endkampf um Berlin als Jugendlicher miterlebte, konnte ich einen kleinen Einblick in die damalige Militärhierarchie und ihre Befehlsgewalt gewinnen. Es wurde damals nicht lange gefackelt, und der Wehrmachtsangehörige, der sich verweigerte, wurde erhängt oder erschossen. Da gab es keinen Unterschied zwischen Offizieren, einfachen Soldaten und Zivilisten. Deshalb kann ich Herrn von Schmeling sehr gut verstehen, daß er damals aus Gründen des Überlebens, wie mancher meint, „moralisch“ versagte. Doch man muß feststellen, daß er kein Todesurteil unterschrieb, sondern traurigerweise auf Befehl die Vollstreckung durchführen mußte. Kriege sind für die involvierten Menschen immer sehr grausam.

Die Lehren, die Wilhelm von Schmeling daraus zog, und daß ihn sein Gewissen plagte, das zeigt mir, daß er ein Mensch mit moralischen Qualitäten ist, und ich hätte mir gewünscht, daß alle Soldaten, die ja Menschen töten mußten, in der Nachkriegszeit bereut und gehandelt hätten wie dieser Mann. Dann wäre es um unser Land, unsere Demokratie und unsere Freiheit nicht schlecht bestellt.

Wir Grünen sollten auch aus moralischen menschlichen Gründen solchen Männern wie Herrn von Schmeling die Chance eines größeren Forums geben. Denn Menschen seines Schlages haben uns auch noch heute vieles an Erfahrungen mitzuteilen. [...] Kurt Braun, Wettenberg

Vielen Dank, daß Ihr diesen Akt grüner Bigotterie nicht kritiklos habt durchgehen lassen! Kai Anding, Berlin

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