: Der erste Schritt zum UN-Abzug
Butros Ghali legt vier Optionen für die Zukunft der UN-Mission in Bosnien vor / Rückzug aus den muslimischen Enklaven wahrscheinlich ■ Von Andreas Zumach
Genf (taz) – Der UN-Sicherheitsrat wird Ende dieses Monats voraussichtlich den Abzug der Unprofor-Einheiten aus den ostbosnischen Enklaven Goražde, Zepa und Srebrenica beschließen. Nachgedacht wird außerdem über eine Umgruppierung der Verbände in der Region Sarajevo und im nordwestlichen Bihać. Dies ist nach Informationen aus der Peacekeeping-Abteilung der UNO in New York das wahrscheinlichste aller theoretisch denkbaren Szenarien für die Fortsetzung der UNO-Mission in Bosnien.
UN-Generalsekretär Butros Ghali hatte dem Sicherheitsrat in der Nacht zum Mittwoch vier Optionen für die Zukunft der im Oktober 1992 begonnen Unprofor- Mission vorgetragen: Die erste Version sieht die Aufrechterhaltung des Status quo, das heißt den Verbleib der rund 22.000 UNO- Soldaten an ihren derzeitigen Stationierungsorten mit dem bisherigen Mandat vor. Die zweite Variante wäre der vollständige Abzug. Eine weitere Möglichkeit könnte ein schärferes Vorgehen der Unprofor beinhalten. Ghalis vierter Vorschlag sieht eine Reduzierung und Umgruppierung der Unprofor-Verbände vor. Die Diskussion über das Mandat war erneut aufgeflammt, als die UNO bei serbischen Angriffen auf Sarajevo vor zwei Wochen darauf verzichtete, Nato-Luftunterstützung anzufordern.
Eine Aufrechterhaltung des Status Quo gilt in der Peacekeeping-Abteilung nach den wiederholten Abzugsdrohungen Frankreichs als unrealistisch. Frankreich stellt mit über 4.000 Blauhelmen das größte Unprofor-Kontingent und hatte mit 37 (von insgesamt 162) Toten sowie 252 (von 1.420) Verwundeten bislang auch die meisten Opfer zu beklagen.
Ausgeschlossen wird im New Yorker UN-Hauptquartier auch der vollständige Rückzug – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Für ein schärferes Vorgehen der Unprofor-Soldaten, ihre Ausrüstung mit schwereren Waffen sowie für Nato-Luftangriffe sprach sich bei der informellen Debatte des Sicherheitsrates neben den Botschaftern einiger blockfreier Staaten auch US-Botschafterin Madeleine Albright aus. Doch derartige Äußerungen gelten bei der UN als folgenloses Pfeifen im Walde, solange die USA nicht bereit sind, sich selbst mit Truppen an der Mission zu beteiligen.
Erwartet wird daher, daß sich der UNO-Generalsekretär, wenn er am 26. Mai dem Sicherheitsrat einen förmlichen Vorschlag unterbreitet, für die Reduzierung und Umgruppierung der Unprofor ausspricht. Die Planer in der New Yorker Peacekeeping-Abteilung bevorzugen bisher die Variante, die niederländischen, ukrainischen und britischen Einheiten aus den muslimischen Enklaven Srebrenica, Zepa und Goražde abzuziehen. Diese Einheiten sind völlig von der Willkür der serbischen Truppen abhängig, die diese „UN- Sicherheitszonen“ umzingelt haben. Da die in den drei Städten verbliebenen bosnischen Soldaten nach Etablierung der Sicherheitszonen unter Unprofor-Aufsicht entwaffnet wurden, düften die drei Enklaven nach einem Abzug der Blauhelme endgültig von den serbischen Belagerern überrannt werden. Damit wäre praktisch ganz Ostbosnien unter Kontrolle der Karadžić-Serben.
Die Umgruppierungspläne für die Region Sarajevo sehen vor, die Blauhelme aus besonders gefährdeten Stellungen abzuziehen und verstärkt zur Sicherung der Zugangsstraßen einzusetzen, auf denen humanitäre Transporte die Stadt erreichen sollen. Ähnliche Überlegungen werden für Bihać angestellt.
Anders als die Diplomaten im Sicherheitsrat verbreiten die Experten in der New Yorker Peacekeeping-Abteilung keine Illusionen. Die Reduzierung und Umgruppierung werde eine Dynamik auslösen, die letztlich zum Totalabzug der Unprofor aus Bosnien führe.
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