■ Kommentar: Kinkels Konkursmasse
Bereits im letzten Dezember, auf dem Parteitag in Gera, fragte sich der damals schon angeschlagene Klaus Kinkel, wer denn für eine Partei sein solle, in der scheinbar jeder gegen jeden ist, in der so manches unwürdige Gezerre und Personalschauspiel abschreckend gewirkt habe. Das Schauspiel erlebte er auf diesem Parteitag am eigenen Leibe, für Stunden standen nicht nur jeder gegen jeden, sondern viele gegen den Vorsitzenden. Natürlich, wie bei den Liberalen üblich, nicht offen, sondern murrend, hinter Vorhängen und vorgehaltenen Händen. Damals war das Schicksal Kinkels besiegelt – allein der Mangel an einem geeigneten Nachfolger hielt die liberale Meute davon ab, noch am Orte den Kopf zu fordern. Der, den viele als Diadochen bereits handelten, der hessische Vorsitzende Wolfgang Gerhardt, war noch nicht bereit – vielleicht auch abgeschreckt durch das jämmerliche Bild, das sein Vorgänger in spe bot und das ihm bald selber drohen könnte.
Dabei bot der Ziehsohn Hans-Dietrich Genschers ein leuchtendes Bild, als er Mitte 1993 den Parteivorsitz übernahm. Kein Seiten-, nein ein Spitzeneinsteiger, an erster Stelle kaum zwei Jahre nachdem er in die Partei eingetreten war. Doch krank war die Partei schon damals, perspektivlos und zerstritten. Die Symptome wurden überdeckt durch exekutives Handeln. FDP und Bundesregierung, das war in jahrzehntelanger Übung zum Synonym geworden, FDP und liberale Programmatik, das war eine krude Mischung aus Eklektizismus und Pragmatismus. Erst seitdem die Grünen in der Klientel wildern und das Programm adaptieren, wird Liberalismus wieder ernsthaft als Politikmodell erwogen. Dem steilen Aufstieg des Bürokraten Kinkel zum Vorsitzenden folgte dessen jäher Fall. Hamburg, September 1993, danach im März 94 in Niedersachsen, im Juni bei den Europawahlen und in Sachsen-Anhalt, hernach im September in Sachsen, Brandenburg und Bayern, im Oktober folgten Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland. Nach jeder Wahl die gleiche Durchhalteparole. Noch nicht einmal den Erhalt des Liberalismus konnte sich die FPD mehr auf die Fahne schreiben, fand der doch mittlerweile seine Repräsentanz eher bei den Grünen. Denen ist auch die klassische linksliberale Klientel zugetan, die mobilen Schichten, die Modernisierer. Daß nichts erfolgreicher ist als der Erfolg, gilt gerade für sie.
Einzig das Funktionsargument und die Angst der CDU vorm Untergang als Einzelkämpfer verhalf der FDP in den Bundestag, ihrem Vorsitzenden jedoch nicht zu einer Atempause. Der Wiedereintritt in die Bundesregierung wurde mit Ach und Krach geschafft, doch die vielbeschworene Absetzung vom Koalitionspartner und die Umsetzung der eigenen Programmatik blieb auf der Strecke. Nichts kennzeichnete das freidemokratische Profilstreben in der Regierung mehr als die mit der CDU/CSU verabredete „Kinderstaatszugehörigkeit“, als Wort so unförmig wie in der Praxis unsinnig.
Die Niederlagen beschleunigten einen Zersetzungsprozeß, der in der Partei, die immer schon mindestens zwei in sich vereinigte, schon lange angelegt war. Zwischen links und rechts, Sozialliberalen und Wirtschaftsliberalen, zeigten sich immer weniger Berührungspunkte. Die Linken verteidigten ihre Stellungen, wohl wissend, daß sie für eine Profilierung als Bürgerrechtspartei intern zu schwach und die Parteispitze zu unwillig war, die Rechten verschanzten sich hinter der Keine-Steuererhöhung- mit-uns-Parole und meinten damit bereits eine liberale Linie gefunden zu haben. Beide einte die Angst, ohne den anderen zur Bedeutungslosigkeit verdammt zu sein, nun sind sie es gemeinsam und haben keinen Grund zur Rücksichtnahme mehr.
Auf ihren Vorsitzenden nahmen beide Fraktionen zum Schluß allenfalls aus taktischen Erwägungen Rücksicht – solange er gebraucht wurde. Schon in Gera hieß es, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Auf dem Parteitag im Juni werde über das Schicksal des Vorsitzenden befunden. Damit blieb die Schlinge um Kinkels Hals und wurde von Wahl zu Wahl fester gezurrt. Das Ergebnis in Hessen, das ihm eigentlich hätte Luft verschaffen können, stärkte eher seinen ärgsten Konkurrenten Wolfgang Gerhardt. Das Ergebnis von Bremen und von Nordrhein-Westfalen bedeutete das Ende, wenn nicht bereits der Partei, so doch ihres Führers. Kein Vorsitzender hat je einen derartigen Niedergang seiner Partei schadlos überstanden, erst recht nicht, wenn von ihm sowenig Impulse einer Erneuerung ausgehen. Kinkel versprühte schon immer die Innovationskraft eines Ärmelschoners. Konzeptionslosigkeit kompensierte er durch Emsigkeit, so führt er nicht nur die Partei, sondern leitet er auch das Außenministerium. „Aufstehen und kämpfen“ lautete seine Parole nach jeder verlorenen Wahl, weniger Aufmunterung denn Autosuggestion. Auch nach dem letzten Sonntag schien das „weiter so“ im Thomas- Dehler-Haus zu dominieren. Zu stark war die FDP mit ihrer eigenen Misere befaßt, als daß sie die Verschiebungen der anderen Parteien registriert und in ihrer Bedeutung für sich kalkuliert hätte. Drei Kräfte auf Dauer noch im Bundestag, das konnte, das wollte man nicht wahrhaben. Und so verschwendete man keinen Gedanken an die Folgen dieser Verschiebung, die bereits in der CDU erwogen werden. Ein stärkeres Zugehen auf die SPD, ein Kokettieren gar mit einem schwarzen-grünen Bündnis. Das eröffnet wieder einen größeren politischen Leerplatz – am rechten Rand der christdemokratischen Partei. Dieter Rulff
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