Man tröstete sich mit Wein

„Eilet so schnell heraus als herein“. Zu den schwierigen Anfängen des Toskana-Tourismus  ■ Von Stefanie Risse

Von schlimmen Wegen, elenden Wirtshäusern und unsicheren Straßen berichten die Toskanareisenden der vergangenen Jahrhunderte, die zunächst nur Durchreisende waren zu den eigentlichen Zielen, den Städten Rom und Neapel, dem Königreich Sizilien. Erst allmählich entwickelte sich bei ihnen der Sinn für die Schönheiten dieser Landschaft, und erst in jüngster Zeit konnten das Land und seine Hauptstadt Florenz selbst zum Reiseziel werden.

Johann Georg Keyßler, der seine Reiseerlebnisse im Jahr 1740 veröffentlichte, konnte nicht verstehen, warum sie „la Bella“ genannt wurde. Als einzige Begründung fiel ihm die „Reinlichkeit der Strassen“ ein; doch seien diese meistens „krumm und eng, so daß kein Wagen Raum zu fahren hat“. Außerdem, so fand er, gäben die „papiernen Fenster der Stadt ein schlechtes Aussehen“, und auch die Florentiner selbst, unter Sodomieverdacht stehend, hätten schlechte Gesichter: „Ist es aber bey solchen Umständen zu verwundern, daß eine so geyle Nation, wie die Florentiner sind, mit blöden Augen gestrafet sey?“ Noch Goethe, wohl der berühmteste aller Italienreisenden, hatte die Stadt Florenz „eiligst durchlaufen“ und „eilte so schnell heraus als herein“.

Florenz war die erste Station des Reisenden, der den Apennin von Norden kommend überquert hatte. Von hier führten zwei Routen weiter nach Rom und in den Süden: die über Siena zur päpstlichen Grenze bei Radicofani und die weiter östliche über Arezzo und Perugia. Noch vor 150 Jahren war die schnellste – und teuerste – aller Möglichkeiten der corriere ordinario, der die Post von Florenz nach Rom in nur 33 Stunden beförderte und zugleich drei Reisende mitnehmen konnte. (Ein Rekord, der von der italienischen Post bis heute unübertroffen bleibt.) Der vetturin, der die viel üblichere Mietkutsche lenkte, benötigte für dieselbe Strecke viereinhalb Tage. Sechs Pferde zogen den Wagen, und ein carabiniere preschte voraus, um die Ankunft des Gefährts bei der nächsten Poststation anzukündigen und den Wechsel der Pferde zu organisieren.

Die Unterbringung in den Herbergen war alles andere als komfortabel, und nicht immer gelang es dem Reisenden, die Erlebnisse des Tages aufzuzeichnen: „Die Herbergen waren so schlecht, daß an kein Auslegen eines Blattes zu denken war“ (Goethe). Man tröstete sich mit dem guten Wein und in Gesellschaft der anderen Herbergsgäste, mit denen man seine Geschichten austauschte. Auch die Schlafkammer, ja sogar das eigene Bett mußte im Bedarfsfall mit anderen Gästen geteilt werden. Vom Herbst bis weit ins Frühjahr hinein waren die Kammern kalt und feucht; im Sommer erschwerte die erbarmungslose Hitze das Reisen.

Kluge Menschen zogen es da vor, in der Nacht zu fahren, zumal das entgegen der herkömmlichen Meinung als sicherer galt: „Die Überfälle der Räuber geschehen übrigens selten in der Nacht, weil der Italiener, selbst wenn er Räuber ist, sich nicht gern Unbequemlichkeiten verursachen mag, sondern meistens wenn die Feldarbeiter beim Essen oder in der Kirche sind.“

August Lewald, der seine Erfahrungen in einem „praktischen Reisehandbuch“ (1840) weitergibt, beschreibt den klassischen Raubüberfall so: „Ihr Benehmen ist einfach und stets dasselbe. Sie kommen zum Wagen und verlangen ,Geld für die Madonna‘. Sind es viele Reisende, so müssen sie aussteigen und sich mit dem Gesicht auf die Erde legen. Während einer von den Räubern mit angelegtem Gewehr bei dem so da Liegenden stehen bleibt, um bei dem ersten Versuche den Kopf zu heben loszuschiessen, wie er es zur Darnachachtung gehörig bekannt macht, durchsuchen seine Kameraden Wagen und Gepäcke. Ist alles von diesen besorgt und aufgehoben, so kann man wieder seinen Platz im Wagen nehmen und kann weiter fahren. Sind es ein Paar Reisende oder gar nur einer, so werden so viele Umstände nicht gemacht. Man hält ihnen blos eine Pistole dicht unter die Nase, wobei sie im Wagen bleiben können, um ihre Taschen, Koffer und sonstige Behälter zu öffnen. In den meisten Fällen thun die Räuber die Sache so schnell als möglich ab und verlangen nichts, als das baare Geld, weshalb vorsichtige Reisende immer einige Goldstücke, die sie preisgeben, in der Börse haben.“

Die Räuber waren jedoch weniger im toskanischen als im römischen Gebiet aktiv; innerhalb einer italienischen Reise stellten sie nicht viel mehr als eine weitere „Zahlstation“ unter den unzähligen Landesgrenzen, Paßkontrollen und Zollstationen dar.

Wer den Kontakt mit ihnen vermeiden wollte, konnte sich allerdings einer Feluke bedienen. Die Feluke ist „eine Art leichte und schmale Brigantine“, ein Ruderboot, auf dem zehn bis zwölf Personen Platz finden und wo bei gutem Wind auch ein Segel gesetzt wird. Solche Boote verkehrten längs der ligurischen und toskanischen Küste. Sie hielten sich immer nah am Ufer, wo auch genächtigt wurde. Bei dieser Art des Reisens aber konnte es ein anderes Problem geben: den Seegang. Als altbewährtes Mittel zur Glättung des Wassers führten die Schiffer, so berichtet Johann Georg Keyßler, immer ein Fläschchen mit Olivenöl mit sich, das im Bedarfsfalle ins Meer geleert wurde.

Im neunzehnten Jahrhundert wurde die Feluke vom modernen Dampfschiff, das zwischen Genua und Neapel verkehrte, abgelöst. Die Schiffe fuhren nachts und boten am Tag Ausflugsmöglichkeiten in die Küstenstädte. August Lewald rät seinen Lesern jedoch, „sich keiner andern Gelegenheit als der Vetturine zu bedienen, da es Schande wäre, die schöne Gegend zu durchfliegen“ (1840).

Das Durchfliegen von Landschaften – der Beginn des modernen Tourismus?

Die Reisezeit verkürzt sich. Schon heißt es, daß ein halbes Jahr Reisezeit für Italien genüge. Und die Zahl der Reisenden wächst. Die Toskana wird zum bevorzugten Reiseziel für Kunstliebhaber und Literaten. Die von Menschenhand geformte, jahrtausendealte Kulturlandschaft findet endlich ihre ästhetische Würdigung: „Ach, ich weiß nicht, was schöner ist, diese blauen Lichtmassen eines kaum körperlichen, kaum wirklichen Ferngebirges, denen der bald weiße, bald tausendfarbig angehauchte Schnee auffliegt wie der Abglanz einer anderswo ganz in ihre eigene Lichtidealität sich bergenden Welt, oder dieses italienische Bergbild, wo eine Höhe in Pyramidenform, mit einer Stadt, einem Schloß oder Mauerwerk, von Zypressen begleitet, uns scheinbar seelenlos anschaut, scheinbar durch keine Lebensfarbe anlächelt, und dennoch in stiller Tiefe auf einem unendlichen Inhalt ruhet“, schwärmt Victor Hehn 1839.

In Florenz schießen Gasthöfe, Kaffee- und Speisehäuser förmlich aus dem Boden, Reisehandbücher, die der eigenen Erfahrung vorgreifen, erscheinen in allen Sprachen. In einem der bekanntesten, von Dr. Neigebaur verfaßt und 1862 in Leipzig erschienen, erfahren die Reisewilligen zum Beispiel, daß sie sich vor italienischen Bedienten zu hüten haben, da diese allesamt Müßiggänger, Diebe oder Betrüger seien; daß der Wagen nicht zu prachtvoll und die Reisekleider nicht zu kostbar sein sollen, da dies Räuber anlocke und den Gastwirt zu unangemessenen Forderungen reize, und vieles mehr.

Das Vorurteil vom verdorbenen Italiener ist entstanden. Liegt die Schuld beim Tourismus? Auf dessen „demoralisierende Wirkung“ bei den Einheimischen weist Otto Speyer (1859) hin. Als individuell Reisender hat er sie noch gefunden, die „guten Italiener“ – fernab von den wichtigen Reiserouten. „Die sprichwörtlich gewordene Betrügerei und Sucht zu übervortheilen, die servile Kriecherei vor dem Geldsack, die Charakterlosigkeit, die Speichelleckerei, die Faulheit, die Leidenschaft für Spiel und Putz, die ganze moralische Versunkenheit, von der die Schriften der Touristen aller Völker über Italien so viel zu erzählen wissen, sind freilich nicht aus der Luft gegriffen, sondern der Ausdruck dessen, was dem Besucher überall auf der großen Heerstraße, in den Seehäfen, den Straßen und Kaffeehäusern und selbst den Kirchen der Hauptstädte, so wie in denjenigen gesellschaftlichen Kreisen entgegentritt, mit denen der Fremde meist allein in Berührung kommt. Wer aber Gelegenheit hat, das Volksleben in den mittleren und unteren Schichten der Gesellschaft in Gegenden kennen zu lernen, die der Ansteckung fern liegen, dem erscheint der Nationalcharakter in einem neuen und ungleich günstigeren Lichte!“ (Otto Speyer, 1859)