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■ Vier Jahre nachdem Shell die Ölplattform verlassen hat, ist mit den Besetzern Leben auf die "Brent Spar" zurückgekehrtMeuterei gegen Seebestattung

Vier Jahre nachdem Shell die Ölplattform verlassen hat, ist mit den Besetzern Leben auf die „Brent Spar“ zurückgekehrt

Meuterei gegen Seebestattung

Fünfzehn Stunden Fahrt durch aufgewühlte See trennen den Hafen Lerwick auf den Shetlandinseln vom größten britischen Ölfeld in der nördlichen Nordsee. 15 Bohrinseln zählt das „Brent Field“ – eine davon ist die jetzt zur Verklappung freigegebene Lager- und Verladeplattform „Brent Spar“. Seit dem 30. April halten rund ein Dutzend Greenpeace-Aktivisten aus fünf Ländern die mit mindestens 130 Tonnen Giftmüll belastete Plattform besetzt. Sie wollen verhindern, daß der Ölmulti Shell seine 1991 ausrangierte „Insel“ im Atlantik versenkt, statt sie umweltgerecht an Land zu entsorgen.

„Dies ist ein Präzedenzfall“, erklärt Simon Reddy, Autor einer umfangreichen Greenpeace-Studie, über die Gefahren der Entsorgung der Ölplattformen. „Auf keinen Fall darf sich diese Art der Entsorgung ausrangierter Bohrinseln durchsetzen.“ Die Brent Spar ist die erste von insgesamt 400 Bohrinseln in der Nordsee, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren ausgedient haben. Ein schlüssiges Konzept für die Entsorgung der mit Schwermetallen, Ölresten und schwachradioaktivem Abfall belasteten Plattformen liegt weder in Großbritannien noch in Norwegen, den beiden größten Ölförderländern in der Nordsee, vor. Lediglich der dänische Umweltminister Svend Auden und die EU-Kommissarin für Umweltfragen, Ritt Bjerregaard, haben bislang offiziell gegen die Verklappung der Brent Spar protestiert und ihre Unterstützung der Greenpeace- Aktion öffentlich kundgetan.

Wenige Tage vor dem gestrigen Räumungsversuch durch Shell- Mitarbeiter gaben sich die Besetzer zuversichtlich, die Versenkung verhindern zu können. „Es war ganz einfach, die Brent Spar zu entern“, erzählt Greenpeace-Aktivist Dieter an „Bord“ der fußballfeldgroßen Arbeitsplatte. „Man findet immer Griffe, an denen man sich hochziehen kann.“ Minuten nach dem Beginn der Besetzung wehte die Greenpeace-Flagge über der Plattform, ein Transparent verkündet: „Save the North Sea“.

Vier Jahre nachdem die letzte Shell-Besatzung die Brent Spar verlassen hat, ist Leben auf die Plattform zurückgekehrt. „Es ist unvorstellbar“, berichtet Hans, ein Holländer, „wie es hier ausgesehen hat. Überall Dreck und Schimmel, in der Küche lag der Müll meterhoch, während der ersten Tage waren wir nur mit Aufräumen beschäftigt.“ Inzwischen ist es auf der Plattform gemütlich geworden, ein Generator sichert die Stromversorgung: Mikrowelle, Fernseher und Videorecorder, eine vollständig eingerichtete Küche – all das war noch an Bord. Über Satellitentelefon und -fax kommuniziert Greenpeace mit der Außenwelt. „Das internationale Interesse an unserer Aktion ist riesengroß“, freut sich Ulrich vom internationalen Koordinierungsbüro in Amsterdam. „Wir haben schon jetzt politisch einiges bewegt, das Problem der Entsorgung dieser alten Plattformen wird nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden.“

Versenkung kommt Shell 34 Millionen Pfund billiger

Höhepunkt des Besetzeralltags auf der Brent Spar ist das gemeinsame Essen. „Normalerweise gibt es bei uns zweimal täglich eine warme Mahlzeit“, erzählt Dieter, „sie hält in dieser kalten und feuchten Umgebung Leib und Seele zusammen.“ Daß es heute lediglich eines dieser köstlichen Menüs gibt, liegt am hektischen Programm: Proviant vom Greenpeace-Schiff Moby Dick muß über einen Flaschenzug an Bord gebracht werden, Neuankömmlinge werden in die Regeln des Insellebens eingewiesen. Daß auf einer mit Giftmüll belasteten Plattform der Hausmüll getrennt wird, gehört zu den Kuriositäten auf der Brent Spar. Es gibt eine Kiste für Altpapier, Eimer für organischen Müll, und auch Plastikbecher werden eigens gesammelt. Rens, ein Holländer, erklärt: „Wir wollen die Plattform nicht noch mit weiterem Müll belasten. Es ist ohnehin schon unvorstellbar, was hier ins Meer gekippt werden soll.“

Für Chris Rose vom Londoner Greenpeace-Büro ist das Verhalten der britischen Regierung schlicht „heuchlerisch. Jeder Normalbürger wird hart bestraft, wenn er sein altes Auto in den nächsten Teich fährt. Hier aber darf eine 14.500 Tonnen schwere Ölplattform mit einer noch nicht genau quantifizierten Menge Giftmüll an Bord einfach ins Meer gekippt werden.“ Proben über die Zusammensetzung und die Menge des Mülls sind mittlerweile genommen und werden zur Zeit im Greenpeace-Labor der Universität Exeter analysiert.

Ein Rundgang führt in die Tiefen der „Brent Spar“. Deck um Deck geht es durch Werkstätten, Labors, Kontrollräume und vollständig eingerichtete Maschinenräume: all das soll im Meer versenkt werden. Das Rohrsystem der Brent Spar ist mit einer radioaktiven Kruste verseucht, Abfallprodukt der Ölförderung.

„Es ist nicht nur der Giftmüll, gegen dessen Verklappung wir uns stellen“, sagt Rens, „sondern die ganze Mentalität, die damit einhergeht. Unvorstellbar, was hier an Werten ins Meer gekippt werden soll.“

Der Ölmulti Shell sieht das naturgemäß etwas anders. In einem internen Rundschreiben der Deutschen Shell in Hamburg heißt es: „Seit Stillegung der Plattform ,Brent Spar‘ im Jahre 1991 haben wir untersucht, welche Möglichkeiten es gibt, die Plattform sicher und unter Umweltgesichtspunkten verantwortbar zu beseitigen. Dabei haben wir alle entscheidenden Faktoren in Betracht gezogen. Im einzelnen waren das die Auswirkungen auf die Umwelt sowie die Gesundheit von Tier und Mensch, die Sicherheit der Schiffahrt und wirtschaftliche Aspekte. [...] Am Ende der Untersuchungen zeigte sich, daß bei Abwägung aller Vor- und Nachteile im speziellen Fall der ,Brent Spar‘-Plattform die Vorteile einer Versenkung im Meer klar überwiegen.“ Was Shell hier zu erwähnen vergißt, ist die Tatsache, daß die Verklappung das Unternehmen 34 Millionen britische Pfund billiger kommt als die umweltgerechte Entsorgung an Land. Hans-Jürgen Marter

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