Schlaue zwei Prozent diesseits des Jenseits

■ Die Wichtigtuer des Vereins „Mensa“ halten sich für intelligenter als andere

„Intelligenz ist die allgemeine Fähigkeit, sich unter zweckmäßiger Ausnutzung der Denkmittel möglichst rasch in neuen Situationen zu orientieren“, erklärt Gerlinde S. Sie tut das in einer Art und Weise, die durchblicken läßt, daß sie das Runterleiern dieses psychologischen Allgemeinplatzes schon für ein Kriterium eines überdurchschnittlichen Verstandes hält. Trotzdem ist die ältere Akademikerin Mitglied bei „Mensa“, einer elitären Vereinigung, deren Mitglieder per Intelligenztest nachgewiesen haben, daß sie einen Intelligenzquotienten von mindestens 130 Punkten haben und sich als zerebrale Großkaliber von der breiten Masse irdischer Dummbeutel abheben. Denn wissenschaftlichen Erhebungen zufolge verfügen gerade mal zwei Prozent der Bevölkerung über einen derart hohen Intelligenzquotienten, wie Gerlinde S. beteuert.

Dabei wirkt der intelligente Fallout der Stammtischbrüder eher trivial. Der 28jährige Rainer O., Primus inter pares der zwölfköpfigen Truppe, zeigt Urlaubsfotos von seinem letzten Segeltörn, während die anderen über den Bierschaum hinweg darüber spekulieren, ob der Kaufhauserpresser Dagobert „mensaverdächtig“ ist. Kaum zu glauben, daß diese Stinos, die vom Outfit her so ein bißchen wie Meßdiener wirken, zu den größten Schlaumeiern diesseits des Jenseits gehören sollen.

Ich mache die Probe aufs Exempel und konfrontiere die Intelligenzbestien mit einer Frage aus ihrem eigenen Aufnahmetest: „Blatt verhält sich zum Baum wie Grashalm zu...?“ Die geistige Elite tut sich recht schwer mit der Frage aus ihrem eigenen Repertoire. Geistesblitze, die zünden, sind eben selten, meistens donnert es bloß. „Tja, also ... hmmm ... so auf Anhieb ...“ Schließlich, nach einminütigem Brainstorming und freiem Assoziieren, kommt Olaf, der 28jährige Diplom-Mathematiker, zu dem Ergebnis, daß „Wiese“ das richtige Ergebnis sein müßte. „Weißt du, bei den Fragen gibt es nicht einfach nur richtig oder falsch“, rechtfertigt sich der 28jährige Raymond, der schon seit sieben Jahren Mitglied bei „Mensa“ ist. Trotz der Erklärung hege ich arge Zweifel an der Prüfbarkeit überdurchschnittlicher Gehirnblähungen. Kann man mit standardisierten Testfragen wirklich Rückschlüsse auf die Intelligenz ziehen?

Gerlinde S., die mir vorkommt, als müsse sie permanent zwanghaft scharfsinnige Beiträge absondern, erzählt, daß die Tests alle Aspekte der Intelligenz erfassen. Wer Mitglied werden will, muß innerhalb von drei bis dreieinhalb Stunden rund 300 Fragen beantworten, die von einer Testauswerterin bewertet werden. Die Fragen sind in 15 bis 20 verschiedene Gruppen geordnet. Bei den einzelnen Fragen ist jeweils eine bestimmte Zeit vorgegeben, in der die Aufgabe zu lösen ist. Wenn man die Aufgaben in dieser Zeit lösen kann und nicht allzu viele Fehler macht, hat man Chancen, in den exklusiven Klüngel aufgenommen zu werden. Alleine in Berlin gibt es bereits 160 Mitglieder, von denen freilich nur wenige den Weg zum Stammtisch finden.

Neben den regionalen Stammtischen treffen sich die „Mensa“- Mitglieder vorwiegend in 30 bundesweiten sogenannten Special Interest Groups (SIG). Neben dem Motorradclub „EaSIG Riders“, „SurfSIG“, „Unter DreiSIG“ (für die pickeligen Nachwuchsklugscheißer) und dem Whisky-Verzehrklub „MaltSIG“ existiert auch ein Kochkurs „SIGMund Freud“, der den hintergründigen Humor der Schlaumeier ahnen läßt.

Damit die „Mensa“-Mitglieder ihre Intelligenz nicht nur unter ihresgleichen pflegen, sondern auch nach außen hin sichtbar machen können, gibt es sogar eine „boutiQe“, in der man Intelligenz-Accessoires wie Autoaufkleber, Schlüsselanhänger und Krawatten mit dem „Mensa“-Emblem bestellen kann. Doch die meisten Mitglieder verzichten auf die Symbolträger, weil das „M“ zu sehr an den DDR- Schlafwagen-Verpflegungsbetrieb erinnert. Mit dem Zeichen auf einer Krawatte würden „Mensa“- Mitglieder glatt als Mitropa-Kellner durchgehen. Peter Lerch