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Im Bus durch Feindesland

Ausgerechnet im rebellischen Baskenland hofft Spaniens konservative Opposition auf einen Durchbruch bei den Regionalwahlen am kommenden Sonntag / „Kampf den Gewalttätern“  ■ Aus San Sebastian Reiner Wandler

„Konponbideak“ – „Lösungen“ versprechen die Wahlplakate auf dem weißen Bus mit den blauen Tauben. Drinnen sitzt Jaime Mayor Oreja, 43 Jahre, Landwirtschaftsingenieur. Er ist angetreten, um San Sebastian – „Donostia“, wie es die Basken nennen – für Spaniens konservative Oppositionspartei Partido Popular (PP) zu erobern. Wenn man den Wahlprognosen glauben darf, wird seine Partei bei den Basken mit knapp über zwanzig Prozent als stärkste aus den Kommunalwahlen am nächsten Sonntag hervorgehen.

Der vollklimatisierte Reisebus unterbricht seine Fahrt. Längst hat er die prunkvollen Gebäude aus dem vorigen Jahrhundert an der malerischen Bucht der „Perle am Atlantik“ hinter sich gelassen. Wahlkampfspaziergänge durch die Stadt stehen auf dem Programm. Jaime Mayor Oreja rückt noch einmal seinen Anzug zurecht, die Türen öffnen sich, feuchtwarmes Klima und Straßenlärm dringen ins Businnere. Es geht los. Eher schüchtern wirkt der Politiker im Umgang mit den Bürgern. Sein Berater, ein Yuppie um die Dreißig mit Handy in der Jackentasche, drängt ihn immer wieder: Aggressiver solle er auf die Passanten zugehen. Das erste Flugblatt ist an die Hausfrau gebracht, das Eis scheint gebrochen. Doch die Menschentrauben, an die seine Mitkonkurrenten der baskisch-nationalistischen Parteien – von der Baskisch Nationalistischen Partei (PNV), die in der rebellischen Nordregion regiert, über deren Abspaltung Baskische Alternative (EA) bis hin zur ETA-nahen Herri Batasuna (HB) – gewöhnt sind, bleiben aus.

Um dennoch Publikum zu erreichen, wechselt Jaime Mayor Oreja die Strategie. Er greift zum beliebten Trick und verschenkt vor laufenden Fernsehkameras Fußbälle. Nun füllen zwangsläufig Eltern quengelnder Kinder die Szene: Dem Nachwuchs scheint es egal zu sein, woher der unerwartete Geschenksegen kommt. Als handle es sich um einen berühmten Fußballstar des ortsansässigen Erstligisten „Real Sociedad“, verlangen sie Autogramme auf das eben erstandene Rund aus billigem Plastik. Jaime Mayor Oreja setzt sich auf den Rand eines Blumenkübels und signiert artig. Die Fernsehkameras surren, die Show für die Abendnachrichten ist im Kasten. Fast hätte der Spanier sich sogar wohl gefühlt, hätte da nicht eines der Kinder angefangen, ihn auf baskisch zu befragen. Obwohl hier in San Sebastian Donostia geboren, spricht Oreja nämlich kein Wort dieser ältesten Sprache Europas. Er entschuldigt sich stammelnd, besteigt abermals den Bus. Tür zu. Ruhe und Kühle kehren zurück.

Eigentlich wollte Oreja höher hinaus. Nach einfachen Bürgermeisterwahlen stand dem Mitglied des nationalen PP-Vorstandes und ihrem baskischen Vorsitzenden eigentlich nie der Sinn. „Doch als ETA im Januar unseren Bürgermeisterkandidaten in San Sebastian, Gregorio Ordoñez, erschoß, war dies meine Pflicht“, erklärt er seinen Meinungsumschwung. Er versucht, Trauer in die Worte zu legen. „Angst?“ Ja, sicherlich habe er die, aber davon werde er sich nicht abschrecken lassen. „Die Gewalttäter bekämpfen“ heißt sein Hauptziel. „Anschläge wie der Mord an Gregorio oder die Bombe, der unser Parteivorsitzender Jose Maria Aznar im April in Madrid nur knapp entging, werden uns nicht von unserem Ziel abbringen“, bestätigt er mit fester Stimme. Im sicheren Bus ist jede Schüchternheit gewichen.

Sind Basken nur Folklore?

Draußen ziehen Sprühereien vorbei. „Gora ETA militara“ – Hoch lebe die militärische ETA, heißt es da zum Beispiel neben dem Symbol der bewaffneten Separatisten, einer Axt mit einer Schlange. Jaime Mayor Oreja haut in die Kerbe Innere Sicherheit. Von Verhandlungen mit den „ETA-Terroristen“ will er nichts wissen. Er setzt auf Härte. Ginge es nach ihm, gäbe es keine Haftverschonung nach zwei Dritteln der Strafe für „die ETA-Gewalttäter“. San Sebastian ist für ihn eine ganz normale spanische Stadt. Im nationalistischen Lager hat Oreja den Ruf des „von Madrid abgeworfenen Fallschirmjägers“ – er lacht darüber. „Die Urnen werden zeigen, daß die Basken keine Nation sind“, weiß er; wenn überhaupt, gesteht er ihnen regionale Eigenheiten zu, die sich aufs Folkloristische beschränken. Der Bus quält sich die Steigung in den Vorort Intxaurondo hoch. „Policia asesina“ – Die Polizei mordet, steht auf einer Mauer geschrieben. Dort in der Siedlung an der Bahnlinie nach Frankreich ist „die polizeiliche Besatzung des Baskenlandes“, von der die separatistische HB spricht, so präsent wie nirgends. Oben auf dem Berg liegt die Kaserne der paramilitärischen Guardia Civil, durch Folterungen und ihre Verwicklungen in den schmutzigen Krieg der GAL zu traurigem Ruhm gelangt. Einen Polizisten auf 180 Einwohner gibt es in San Sebastian, soviel wie sonst kaum irgendwo in Europa. Die Stimmen der 1.500 Guardia Civiles und ihrer Familienangehörigen, die eingeschlossen hinter hohen Mauern leben, sind Oreja sicher.

Der Bus hält auf einem Platz, umgeben von Gebäuden aus den 80er Jahren. 7.000 neue Wohnungen wurden seit 1984 hier gebaut. Hier leben Zugezogene aus dem Rest Spaniens, die von der wirtschaftlich starken Nordregion angezogen wurden und bisher der in Madrid regierenden sozialistischen PSOE unter Regierungschef Felipe González ihre Stimmen schenken. Hier läuft Oreja keine Gefahr, auf baskisch befragt zu werden, und es fällt ihm leichter, auf die Menschen zuzugehen. Es macht auch mehr Sinn. Den Nationalisten von PNV, EA und HB, die insgesamt 60 Prozent der baskischen Wähler auf sich vereinigen, wird er ohnehin keine Stimmen wegnehmen. Die holt er sich im Lager des bisherigen Bürgermeisters Odon Elorza von der PSOE. „Obwohl in der Stadt beliebt, wird er dank der Korruptionsskandale seiner Genossen in Madrid schlechter abschneiden denn je“, so Mayor Oreja.

Aus einiger Entfernung beobachtet eine Gruppe von Jugendlichen mit T-Shirts baskischer Rockgruppen mißtrauisch das Treiben. Sie gehören zu den Stammgästen in der „Zulo Zahar“ (Alte Höhle). der hiesigen Stadtteilkneipe von HB. Am 7. Mai sorgte das Lokal für Schlagzeilen: „Jugendliche bereiteten Brandsätze in HB-Lokal vor“, hieß es in der spanischen Presse. Sechs Jugendliche aus Intxaurrondo waren verhaftet worden. Ihnen wird vorgeworfen, als legaler Arm der ETA Sabotageakte verübt zu haben. Die Version von Jeronimo Perez, Chef des „Zulo Zahar“, klingt ganz anders: Durchsucht worden sei nicht die Kneipe, sondern eine leerstehende Fabrik, die allen Vereinen des Stadtteiles als Lagerraum für ihre Utensilien für das alljährliche Sommerfest gedient habe. „Unter anderem hatten auch wir einen Schlüssel“, sagt er. „Was dort gefunden wurde, waren Steine, eine Schleuder, ein Beutel Sektkorken, eine Vorrichtung zum Abschuß von Silvesterraketen auf Festen sowie mehrere Kanister mit Putzmittel. Die Polizei machte daraus ein Waffenlager.“ Mehrmals besteht er darauf, daß die Fabrik Eigentum der Stadtverwaltung ist und „im Stadtteil um die hundert Schlüssel im Umlauf sein dürften“.

„Mit der Pressekampagne haben die unsere ganze Arbeit wie Sportvereine und Kulturveranstaltungen zunichte gemacht“, beschwert sich Perez. Man habe es ohnehin nicht leicht gehabt, umgeben von „Einwanderern aus dem restlichen Spanien“. Die sechs Jugendlichen erwartet jetzt ein Verfahren in der für Terrorismus zuständigen Audiencia Nacional in Madrid. Dabei dürften sie nichts zu lachen haben. Vor zwei Wochen wurden 17 Jugendliche wegen Auseinandersetzungen auf einer Demonstration während des Sommerfestes 1993 zu bis zu zwei Jahren Haft verurteilt. Auch ihnen wurde vorgeworfen, ein legales ETA-Kommando zu sein.

Für Jeronimo Perez ist das alles ein Polizeikonstrukt. „Ich glaube nicht, daß ETA mit Steinschleudern unterwegs ist, die haben andere Waffen“, gibt er zu bedenken. Für ihn sind es einfach Jugendliche, „die von der Unterdrückung hier im Baskenland die Schnauze voll haben“. Und die Aktionen der ETA seien ein Ausdruck fehlender Souveränität des Baskenlandes. „Es gibt nur einen Weg zum Frieden: Verhandlungen mit der ETA- Führung.“ Daß der Kneipier mit dieser Ansicht nicht alleinsteht, zeigen die Wahlergebnisse: 190.000 Basken, 14 Prozent wählten zuletzt die „Herri Batasuna“, in San Sebastian 18 Prozent. Bis 1990 war sie in der Stadt die stärkste Partei, seither sinken die Ergebnisse, „aber zweitstärkste oder drittstärkste Kraft werden wir auch weiterhin bleiben“, so Perez' Vorhersagen.

Suche nach „moralischem Wiederaufbau“

Jaime Mayor Oreja besteigt abermals den kühlen Bus. Die Stadt mit ihren Konflikten wird wieder zur vorbeiziehenden Kulisse. „San Sebastian braucht einen Bürgermeister, der den wirtschaftlichen Aufschwung sichert“, beginnt er. Dazu sei der „moralische Wiederaufbau“ der Stadt nötig. Der Spanier zeigt auf ein kleines blaues Band am Aufschlag seines dunklen Anzuges, ähnlich dem roten Symbol gegen Aids. „Josemari etxera“ – Josemari nach Hause, bedeutet dies, erklärt der Vater zweier Kinder. Seit die Separatisten der ETA am 8. Mai den Fuhrunternehmer Jose Maria Aldaia entführten, um per Lösegeldforderung die Kriegskasse aufzufüllen, trage er dieses Symbol „für die Einheit der Demokraten gegen die Gewalttätigen“, beschwört Jaime Mayor Oreja das Bündnis aller Parteien.

Am vergangenen Samstag gingen als Protest gegen die Entführung 70.000 Menschen auf die Straße. Alle Parteien hatten dazu aufgerufen – außer HB. Die gab sich einen Tag später unter dem Motto „Euskal Herria askatu“ (Freiheit für das Baskenland) ihr eigenes Stelldichein.

„Wer mit den Gewalttätern verhandeln will, bestärkt sie nur“, sagt Oreja. Sein Seitenhieb gilt der PNV, die immer wieder Gesprächsangebote an ETA und HB macht. „Wer wie die PNV die Befriedung des Baskenlandes an die Unabhängigkeit knüpft, wer von einem historischen Konflikt zwischen Madrid und dem Baskenland spricht und damit ETA teilweise recht gibt, verläßt den demokratischen Konsens“, verurteilt er die PNV. Die Welt teilt sich für ihn in „Demokraten und Gewalttäter“; es gelte, „die Verfassung zu verteidigen“. Auf seine Zeit als Regierungsdelegierter, eine Art spanischer Präfekt, im Baskenland von 1980 bis 1982 angesprochen, wird er ruhig und nachdenklich. In diese Zeit fallen die Attentate des „Spanisch-Baskischen Bataillons“, eine Einheit aus Polizeibeamten, die nach Feierabend Jagd auf Linksnationalisten machten. Schließlich platzt es aus ihm heraus: „Mich mit dem schmutzigen Krieg in Verbindung zu bringen ist einfach lächerlich.“ Der Bus erreicht derweilen wieder das prunkvolle Zentrum an der malerischen Bucht. Am Rathaus aus dem vorigen Jahrhundert weht ein großes blaues Band im Gedenken an den entführten Fuhrunternehmer. Um die Ecke hat jemand trotzig auf die Mauer gepinselt: „Josemari, zahl, und zwar gut.“ Den Weg Jaime Mayor Orejas kreuzt ein schwarzes Taxi mit Wahlwerbung der PNV. Es ist ein altes englisches Modell, wie es auch in Belfasts katholischen Vierteln – nicht in den protestantischen – zu sehen ist. In Belfast herrscht jetzt Frieden.

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