: „Dinosaurier werden sterben"
In Berliner Firmen beginnt die Umstrukturierung zum „lernenden Unternehmen“ / Sind die Tage der bürokratischen Großkonzerne gezählt? ■ Von Hannes Koch
„Wollen Sie mit fliegenden Fahnen untergehen, meine Herren?“ pflegt der Berliner Unternehmensberater Klaus W. Döring die in Schwierigkeiten geratenen Manager zu fragen. Um am Markt zu bestehen, sei es höchste Zeit, die Organisation der Arbeitsabläufe in ihren Unternehmen vollkommen umzugestalten. „Weit entfernt von Hierarchie und Bevormundung“ sollen entscheidungsfähige Teams von Beschäftigten die Wünsche der KundInnen schnell und flexibel erfüllen. „Die Zeit der großen Konzerne geht zu Ende“, entwirft Döring ein für manchen Chef beängstigendes Zukunftsbild.
Gleichzeitig als Professor im Studiengang Weiterbildungsmanagement der Technischen Universität Berlin tätig, propagiert der Unternehmensberater gern das „lernende Unternehmen“. Kernpunkt: Das Prinzip von Befehl und Gehorsam wird peu à peu ersetzt durch Selbstorganisation. Die Firmenleitung gibt nur noch den Rahmen vor, ganze Hierarchiestufen fallen weg. Es gilt, die strikte Arbeitsteilung zwischen den bislang voneinander isolierten Abteilungen im Betrieb aufzubrechen und zum Beispiel die MitarbeiterInnen der Auftragsannahme, Produktentwicklung, Herstellung und Kundenbetreuung in gemeinsamen Arbeitsgruppen zusammenzuführen. Idealtypisch sollen diese die Produkte in einem fortwährenden Fortschritts- und Lernprozeß verbessern.
In Berlin kommt die Erneuerung nur langsam voran – was wohl auf die in langen Mauerjahren gewachsene Selbstzufriedenheit zurückzuführen ist. Einer der wenigen reformwilligen Betriebe ist die Telekommunikationsherstellerin Krone AG in Zehlendorf, von der Klaus Döring mit der Beratung beauftragt wurde.
Krone-Personalleiter Wilfried Wagner läßt durchblicken, daß man sich stärker an den veränderten Wünschen der KundInnen orientieren müsse, um nicht vom Markt zu verschwinden. Während die Post früher große Mengen bestimmter Bauteile für ein ganzes Jahr im voraus bestellte, verlange die Telekom AG heute kleinere Mengen unterschiedlicher Produkte in kürzeren Lieferzeiten. Da reicht es nicht mehr, am Jahresanfang die Fließbänder anzustellen.
Um den schnellen Wechsel von einer zur anderen Produktvariante zu ermöglichen, brauchen die MitarbeiterInnen auf den unteren Ebenen mehr Freiraum. Auch der Bedarf an eigenverantwortlicher Koordination wächst. So müssen sich heute die Disponenten, die die Ausgangsmaterialien in den Produktionsablauf einspeisen, kurzfristig mit Zulieferern und MontagearbeiterInnen kurzschließen. „Gelebte Demokratie am Arbeitsplatz ist die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg“, faßt Betriebsberater Döring zusammen.
Um die „Schlüsselfähigkeit der Kommunikation“ zu trainieren, haben bei der Krone AG seit 1992 rund 25 „Verbesserungsteams“ getagt. Fünf oder sechs MitarbeiterInnen aus verschiedenen, bislang weitgehend voneinander isolierten Abteilungen der Firma trafen sich mehrmals, um mit neuen Ideen Öl ins Firmengetriebe zu träufeln. Außerdem wurde versuchsweise eine Art von Gruppenarbeit eingeführt.
Doch die Reform gerät ins Stocken. Man habe erst die Hälfte dessen geschafft, was ursprünglich geplant war, räumt Personalentwickler Wagner ein. Den MitarbeiterInnen fehle oft die Motivation zur konstruktiven Teilnahme am Verbesserungsprozeß. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Durch gute Ideen zur Beschleunigung der Produktionsabläufe, so befürchten die Beschäftigten, würde nur weiterer Rationalisierung Vorschub geleistet. Tatsächlich entläßt der Betrieb bis Ende 1995 rund 400 von einstmals 1.500 MitarbeiterInnen, um kurzfristig die Liquidität zu erhalten.
Der altbewährten Methode der Kündigung weiterhin zu frönen sei jedoch eine Todsünde, meint so mancher Verfechter der neuen Unternehmenskonzepte. Schließlich gehe den Firmen mit jeder Entlassung auch wertvolle menschliche Erfahrung und Kreativität verloren.
Dezentralisierung, richtig angewandt, könne hingegen dazu beitragen, Arbeitsplätze zu erhalten. Auch Unternehmensberater Klaus Döring spricht sich dafür aus, „die Konzerne in vernünftige Größen auseinanderzuhauen“. Mitunter sei es nützlich, nicht einmal ein gemeinsames Dach übrigzulassen, sondern voneinander unabhängige Unternehmen zu gründen – damit die anonyme Bürokratie nicht länger die Orientierung am Kunden verhindere.
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