: Eine Stadt, von der Natur zurückerobert
■ Durchs wilde Absurdistan: Max Blaeulichs finstere „Bukarester Geschichten“
Mit manchen Büchern ist es wie mit Menschen. Man lernt sie eher zufällig kennen, und dann nimmt man sie mit nach Haus, weil sie einem auf den ersten Blick sympathisch und geheimnisvoll erscheinen – beziehungsweise weil einem der Buchumschlag gefällt, oder der Titel, oder der Name des Autors.
An den „Bukarester Geschichten“ von Max Blaeulich, die einsam am verlassenen Stand des Wieser Verlags auf der Leipziger Buchmesse herumstanden und nicht wußten, was sie so machen sollten, gefiel mir erst einmal alles: der seltsam abstrakte Einband, das irgendwo im Angenehmen, zwischen Gelb und Orange (Aprikose?) changierende schöne Papier, die Fadenheftung, der Name des Dichters, den ich nicht kannte und von dem es nur knapp heißt, er sei Anfang der 50er Jahre geboren und lebe in Salzburg, das Foto auf der Innenseite des Umschlags, das den Dichter zigarillorauchend zwischen zwei kleinen Kindern und einem Glas Bier sitzend zeigt – zeigen ist zuviel gesagt, seine Gesichtszüge kann man nur erahnen – und natürlich, daß er von Bukarest schreibt. Denn Bukarest ist eine sehr, sehr wilde Stadt.
Das Bukarest, von dem Blaeulich in sieben Texten atemlos und ohne jeden Absatz schreibt, entspricht seinem Klischee. Die „Hauptstadt Absurdistans“, in der Ceaușescu lachend das Blut kleiner Babys zu trinken pflegte, um sich frisch zu halten, ist „ein kranker, wild wuchernder Organismus“, eine Ansammlung „vagabundierender Baustellen“, die schon verfallen, wenn sie entstehen. Schielende, pockennarbige Bauarbeiter treiben in Bukarest ihr Unwesen, kranke Bäume zersprengen den Asphalt, des Nachts kriechen lebensmüde Tiere aus der Kanalisation und knabbern selbst die Häuser an, taubengroße, verdreckte, blinde Hühner sieht man an allen Ecken.
In Bukarest haben herumstreunende Hunde, Diebe, Bettler und verbrecherische Taxifahrer aus dem Banat das Sagen, deren fahrgastsuchende „Penetranz“ sich „zu einer Virtuosität der körperlichen Berührungen und Abschleckungen und Vertraulichkeiten“ steigert. Von den billigen Kneipen gar nicht zu reden, in denen zwischen „Befleckungen“ und „Selbstbefleckungen“ die Köpfe auf biernassen Tischen liegen. Werte lassen sich hier nur schlecht tauschen, die heimischen Geldscheine knistern schon lange nicht mehr; sie gleichen einem „aufgeweichten Wecken Weißbrot“. Die Luft in Bukarest ist abscheulich und eigentlich eher „Luftlosigkeit“ zu nennen, eine „Melange von guter und schlechter Luft, welche sich gerade mit verpesteter Luft verbindet, aufplustert, so als wäre dieses Gemisch ein Elixier, ein probates Universalmittel, zumindest ein Anker in eine undefinierte Hoffnung, endlich den letzten Atemzug in einer Grube dichter Finsternis zu tun ... und Schluß“.
Max Blaeulich beschreibt Bukarest als eine Stadt, die dabei ist, von der Natur zurückerobert zu werden. Im ganzen Buch gibt es keine drei Sätze, die von der Schönheit der rumänischen Hauptstadt sprechen, von ihrem Licht, das allerdings auch eher bedrohlich wirkt: „entsetzlich gelbe Morgen voller Zittern, bleierne Mittage, unheilschwangere Verdüsterungen am Nachmittag, Nebel des Abends und die violetten Schimmer der Nacht“. Und doch scheint Blaeulich, dessen ständiges Mürrischsein ein wenig an Bernhard, dessen vegetative Angst ein wenig an Bruno Schulz erinnert, Bukarest zu lieben. Nach der Lektüre möchte man jedenfalls sofort und unbedingt dorthin reisen. Detlef Kuhlbrodt
Max Blaeulich: „Bukarester Geschichten“. Wieser Verlag, 80 Seiten, mit Zeichnungen von Johannes Steidl, 28 Mark
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