■ Richtungsstreit in der PDS: Zerfall auf Raten
Dem Bremer Debakel folgt der innere Richtungsstreit. Die Westausdehnung der PDS ist mit der Wahlpleite in der Hansestadt erst einmal gründlich gescheitert. Es folgt der Abgesang: Die parteiinternen KritikerInnen des Westkurses zahlen es der Führungsspitze heim, die alten Konfliktlinien brechen wieder auf, der PDS droht der innere Auflösungsprozeß. Die jetzt einsetzende Dynamik hat eine Geschichte, wenn auch eine kurze.
Mühsam hat die PDS auf ihrem letzten Parteitag ihren „anti-stalinistischen“ Gründungskonsens erneuert – einen Konsens, der den „endgültigen Bruch mit dem Stalinismus“ beinhaltet und der eigentlich schon seit dem Wendeparteitag im Herbst 1989 das Fundament der weiteren Entwicklung der postkommunistischen Partei sein sollte. Damals wie heute ist es wohl weniger so, daß nennenswerte Teile der PDS die Verbrechen des Stalinismus tatsächlich relativieren wollen – es ist immernoch der Streit darüber, ob die zusammengebrochene DDR in ihrer Gänze den Stempel „stalinistisches System“ verdient hat oder nicht. Das zeigt zuletzt der Aufruf „In großer Sorge“, in dem 38 mehr oder weniger prominente ehemalige Funktionsträger aus der DDR der Parteispitze um Lothar Bisky vorwerfen, die Oppositionsrolle zu verlassen, dem Klassenkampf eine Absage zu erteilen und die Vertretung originärer ostdeutscher Interessen zu vernachlässigen. Der Aufruf ist auch Ausdruck dafür, wie weit die rückblickende Verklärung der DDR in den Reihen der Genossinnen und Genossen um sich gegriffen hat. Nachvollziehbar mag sein, daß sich viele in der PDS, die selbst einmal zur Funktionselite des einstigen Arbeiter- und Bauerntaates gehört haben, weigern, ihre Biographien „entwerten zu lassen“. Auch daß diese zu der Aussage neigen, „nicht alles war so schlecht in DDR“, mag man verstehen. Die PDS, das wird noch einmal deutlich, ist immer noch überwiegend eine Milieu-Partei. Daran haben sich vor der Bremer Wahl Lothar Bisky und Gregor Gysi abgearbeitet – jetzt bekommen sie dafür die Quittung.
Die heftige Debatte zeigt, wie weit papierene Programmatik und wirkliches Parteileben, wie weit Parteiführung und Parteivolk tatsächlich auseinander sind. Die Spitze der PDS, allen voran Gysi und Bisky, sehen keine Alternative für das von ihnen vorgelegte und auf dem Parteitag durchgepuschte Reformprogramm. Sie wissen, daß sich trotz der Bremer Niederlage das weitere Schicksal der PDS in den alten Bundesländern entscheiden dürfte. Schließlich ist der Wiedereinzug der PDS in den kommenden Bundestag – selbst bei gleicher Stärke im Osten – in dreieinhalb Jahren nur über Direktmandate keineswegs gesichert. Solche Überlegungen sind aber der Mehrheit der Parteibasis fremd. Die propagierte Erneuerung, der Versuch, „einen Beitrag zur Rehabilitierung der sozialistischen Idee und Bewegung in Deutschland zu leisten“ (Bisky) und damit bei der überwiegend undogmatischen linken Bewegung im Westen auf Akzeptanz zu stoßen, wird nicht nur von den UnterzeichnerInnen des Aufrufs „In großer Sorge“ als Zumutung begriffen. Nach dem Scheitern in Bremen übt die Mehrheit der Partei den Rückzug auf den Osten als das sichere Terrain, der Westen rückt in immer fernere Weite. Und damit auch die Chancen der PDS, auf der Bonner Bühne auf Dauer zu bestehen. Wolfgang Gast
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