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Protest gegen die „klerikale Monarchie“

Iranische Oppositionelle fordern in einem offenen „Brief an die Nation“ freie Wahlen / Sie kritisieren auch die „feindselige“ Politik der US-Regierung gegenüber der Islamischen Republik  ■ Von Navid Kermani

Berlin (taz) – Als einzigen Ausweg aus der „derzeitigen Sackgasse“ hat die „Iranische Befreiungsbewegung“ (Nehzat-e Azadi) am Sonntag freie und allgemeine Wahlen im Iran gefordert. Die „Freiheitsbewegung“, die 1961 von Mehdi Bazargan gegründet wurde, ist die wichtigste im Iran geduldete Oppositionsgruppe. Bazargan war Irans erster Ministerpräsident nach der Revolution 1979. Wegen Differenzen mit Ajatollah Chomeini trat er wenige Monate nach Amtsantritt zurück.

In einem „Brief an die Nation“, der die Unterschrift von 86 Oppositionellen trägt, wird die Bevölkerung aufgerufen, „ihre Gleichgültigkeit abzuschütteln und aktiv am politischen, sozialen und ökonomischen Leben des Landes teilzunehmen“. Während das Land sich in einer gravierenden Krise befinde, halte sich die Regierung dadurch an der Macht, daß sie die Reichtümer des Landes verkaufe. „Apathie und Isolation werden diese beispiellose Krise nicht lösen.“

Die Unterzeichner fordern die Regierung auf, die notwendigen Bedingungen für „die Beteiligung aller Bevölkerungsschichten an freien Wahlen“ zu schaffen. „Wir sind uns der Konsequenzen der Veröffentlichung dieser Erklärung bewußt, sehen aber in einer politisch freien Atmosphäre den einzigen Ausweg aus der derzeitigen Sackgasse“, schreiben sie.

Mit den Folgen derartiger Erklärungen haben viele der Unterzeichner Erfahrung. Schon einmal, 1990, beklagten 90 Intellektuelle, unter ihnen auch Bazargan und viele seiner Mitstreiter von der „Freiheitsbewegung“ in einem offenen Brief, daß die Mehrheit des Volkes verarmt sei, während eine Minderheit das Land plündere und die „klerikale Monarchie“ eine weitverbreitete Abkehr vom Islam, besonders bei der Jugend, bewirkt habe. Damals wurden 26 der Unterzeichner verhaftet und zum Teil schwer gefoltert. Dagegen sind die 136 iranischen Schriftsteller, die im vergangenen Oktober mit einer Protesterklärung weltweit Aufsehen erregt haben, bisher von Verhaftungen und Mißhandlungen verschont geblieben.

Seit Bazargans Tod im Januar wird die „Freiheitsbewegung“ von dem 63jährigen Pharmakologen und ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Ebrahim Yazdi geführt. Die nicht offiziell zugelassene Organisation vertritt ein liberal-islamisches Programm und bewegt sich nach eigenen Angaben im Rahmen der iranischen Verfassung. Trotzdem ist sie in ihren politischen Aktivitäten massiven Behinderungen ausgesetzt. Parteimitglieder werden immer wieder verhaftet. Noch kurz vor seinem Tod hatte Bazargan die Verhältnisse im Iran scharf kritisiert. Zu den Trauerfeierlichkeiten versammelten sich Zehntausende von Menschen.

Der Zeitpunkt der Erklärung dürfte indirekt auch mit der für Anfang nächsten Jahres bevorstehenden zweiten und nach der iranischen Verfassung letzten Amtszeit von Präsident Haschemi Rafsandschani zusammenhängen. Offenbar soll im Vorfeld der mit einem Präsidentenwechsel verbundenen politischen Weichenstellung auf die Notwendigkeit einer Öffnung und Demokratisierung des Systems hingewiesen werden.

Die Unterzeichner zeigen sich auch besorgt über die Politik der USA gegenüber der Islamischen Republik. Die „neuerliche Welle von Feindseligkeit“ aus Washington sei nicht nur gegen die iranische Regierung, sondern auch gegen das Volk und die nationale Souveränität gerichtet. In dem Brief heißt es: „Wenn die Menschen spüren, daß ihre wahren Vertreter im Parlament sitzen, werden sie gegen die äußere Bedrohung zu mobilisieren sein.“

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