: Nachschlag
■ Radiobar: Jim Avignon und Freunde im Künstlerhaus Bethanien
Seit vergangenem Dienstag kenne ich die eigentliche Bedeutung des Wortes „Reizüberflutung“. Jim Avignon inszenierte in den zwölf Räumen des Künstlerhauses Bethanien wieder einmal seine „Radiobar“, die schon an so ungewöhnlichen Orten wie der französischen Botschaft oder dem Fernsehturm stattfand. Bei der Ausstellungsparty nebst DJ-Unterstützung sollte die gesamte Berliner Clubszene, die mit ihren unterschiedlichen Musikstilen ansonsten eher in isolierten Nischen agiert, für eine Nacht unter einen Hut gebracht werden.
Neun DJs ließen ihre Soundsysteme aufeinanderkrachen. Jeder Raum erhielt durch Musik, Kunst und Gerüche seinen eigenen Charakter. House, HipHop, Techno, Rock, Jungle, Ragga, Live-Auftritte an Gitarre und Orgel und – last but not least – die Schlager des DJ-Duos Le Hammond Inferno dröhnten gleichzeitig aus den verschiedenen Räumen. Video-Installationen flackerten zu den Beats, Kunstwerke türmten sich in den Ecken und baumelten von Wänden und Decken. Erst eine ganze Weile nach der letzten U-Bahn war es möglich, die mit großer Liebe zum Detail arrangierten Stücke zu betrachten. Entspannung fand man in dem vom Hammond Inferno bespielten Raum. Eine Diainstallation erzeugte Wohnzimmeratmosphäre, getanzt wurde auf dem Teppich. In einer Ecke des Raumes hatten die Künstler ein eigentümliches Stilleben aus umhäkelten Gefäßen aufgebaut (besonders niedlich: die umhäkelte WC-Ente).
Besonders niedlich: die umhäkelte WC-Ente Foto: JapA
Nachdem hier die Erdbeerbowle ausgegangen war, wurstelte ich mich zu einem als Kinderzimmer dekorierten Raum, den passenderweise Speed-Metal von D.O.A. beschallte. Hier wurde das Inventar kleinteilig. Eine Collage aus Streichholzbriefchen, Plastik- und Metallspielzeug schmückte die Ecken. Obwohl das Kämmerchen kaum größer war als ein Schuhkarton, ließen sich die Headbanger vom Tanzen nicht abhalten. Ab halb drei war der größte Andrang vorüber, und es wurde so richtig schön. Übrig blieb der harte Kern: langhaarige Typen in Monster-Magnet-Shirts, Techno-Bräute in Plateau-Stiefelchen mit passenden Knautschledertaschen. Wer mag jetzt noch behaupten, man könne die vielschichtige Berliner Clublandschaft nicht zusammenbringen? Kirsten Niemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen