: Mehr als Gaudi
■ Ihre Bemühungen um regionale Selbstbestimmung und eine eigene Kultur sind erfolgreich, das können sie der Welt auch zeigen: Bis 20. Juni findet in Berlin eine Festa Catalana statt: Musik, Performance, Tanz, Film und Literatur aus Katalonien
Sonntag, zwölf Uhr mittags. Auf dem Platz vor der Kathedrale. Die Barcelonier haben sich zum friedlichsten aller Kämpfe aufgestellt: dem Wettkampf. Welche Gruppe tanzt am besten den katalanischen Volkstanz „Sardanas“? Welche wird den höchsten Menschenturm, genannt „Castell“, errichten? Acht bis neun Stockwerke sind die Regel beim sonntäglichen High Noon.
„Kraft, Gleichgewicht, Mut und Bedachtsamkeit“ lautet der fundamentale Wahlspruch der Turmbauer. Ein Wahlspruch, der auch den Geist der Katalanen treffend ausdrückt, die sich im Ringen um ihr regionales Selbstbestimmungsrecht gegenüber der nationalen Regierung als taktische Kämpfer bewiesen und sich als führende Industrieregion zu den Machern Spaniens gemausert haben.
Nun, da die autonome Regierung in Katalonien vollends etabliert ist und dort statt auf spanisch auf katalanisch gesprochen, gelesen, Radio gehört und ferngesehen wird, wird ein neues Projekt in Angriff genommen: die Verbreitung der katalanischen Kultur in Europa. Erstes großes Ziel der freundlichen Invasion: Berlin. Fast drei Wochen werden Künstler ersten Ranges einige der führenden Berliner Kulturbetriebe wie das Hebbel-Theater, die Deutsche Staatsoper, das Konzerthaus und die Akademie der Künste besetzen, um die Berliner mit der Crème de la Crème der katalanischen Kultur zu bombardieren.
Und die Katalanen wären keine Spanier, wenn diese Tortenschlacht nicht ein reines Freudenfest wäre: die Festa Catalana bringt bis 20. Juni mediterrane Lebensfreude nach Berlin. Ein gigantisches Getümmel wird wohl schon das dreitägige Eröffnungsfest heute im Haus der Kulturen der Welt und am Wochenende im Tempodrom: katalanische Musik und Küche, Menschentürme, der Flamenco-Nachwuchsstar Mayte Martin, die Rumba-Catalana- Gruppe AIAIAI und das Spektakel „Die Feuergeister“ von den Comediants, eine Aktionstheatergruppe, die auch bei der Olympiade und der Weltausstellung auftrat.
Und das war erst der Anfang. Außerordentlich gut gerüstet für die Kulturattacke ist die Abteilung Tanz, die von 8. bis 11. Juni ihr bestes Geschütz auffahren wird: den Tänzer und Choreographen Cesc Gelabert, der 1994 für sein bisheriges Werk vom spanischen Staat die „Medalla de oro en las Bellas Artes“ erhielt. Er wird wie ein langjähriger Mitstreiter von ihm, der Komponist Carles Santos, im Hebbel-Theater auftreten. Santos, der mit seiner Oper „Adrusbúla“ anläßlich der Olympischen Spiele in Barcelona 1992 zu Ruhm und Ehren gelangte, zeigt derzeit bis 4.6. seine Performance „L'esplèndida vergonya del fet mal fet“.
Das Podewil wird indes von den jungen katalanischen Tänzern in Beschlag genommen, darunter Javier de Frutos (10./11.6.), der die schwüle Erotik von Maurice Ravels Bolero ohne jegliche Metaphorik darstellt: er tanzt nackt. Oder die Tanzgruppe Increpación (13./14.6.), die die traditionellen Figuren des Flamenco mit der Ästhetik zeitgenössischen Tanzes verbindet, und Mal Pelo (16./17.6.), die in ihren Tänzen vom Rausch, vom Wahnsinn und der Einsamkeit berichten.
Auch Literatur und Film aus Katalonien werden vorgestellt, etwa mit Werken des genial ironischen Autors Quim Monzó und des Regisseurs Bigas Luna. Enden wird die katalanische Festa mit einem sehr spanischen Finale: Am 20.6. spielt das Orquestra de Cambra Teatre Lliure im Konzerthaus die Urfassung von Manuel de Fallas „El amor brujo“, die als Ballettfassung weltberühmt ist. In der in den 80er Jahren wiederentdeckten Fassung liegt der Akzent auf der „Gitaneria“, dem „Zigeunerleben“. Ginesa Ortega wird das Orchester in der höchsten Form des Flamencogesanges, im kehligen „Cante jondo“, begleiten.
Daß die traditionell bekannten Bereiche katalanischer Kultur, Design und Kunst, ins Hintertreffen geraten sind, ist bei dieser Veranstaltung eher ein Plus, kann sie doch dank so vieler darstellender Künstler auf die Skizzen eines Gaudi, Dali, Tàpies und Miró verzichten.
Organisiert wird das Ganze übrigens von COPEC, dem katalanischen Konsortium zur internationalen Förderung katalanischer Kultur und dem Kultursenat im Rahmen des multikulturellen Austauschprogramms „grenzenlos“. Beide zusammen finanzierten ungefähr 40 Prozent des Budgets, das bei über 400 Mitwirkenden mit nur zwei Millionen außerordentlich niedrig ist. Den Rest des Betrages tragen zu gleichen Teilen Sponsoren und die Berliner Institutionen, denn, so argumentiert Hebbel-Direktorin Nele Hertling: „Qualität darf man nicht nur ermöglichen, man muß sie auch fördern.“
Die Revanche für diese Belagerung ist auch schon geplant. Spätestens 1997 werden Berliner Künstler in Katalonien einrücken. Vielleicht bauen sie ja ihrerseits einen Turm, dann allerdings wohl mit dem Abfallprodukt einer kulturellen Sitte, für die sie international bekannt sind: dem immensen Bierkonsum. Patricia Caspari
Nähere Informationen: COPEC, Friedrichstraße 180, Mitte.
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