Und nach dem Mord der Tusch

■ Wenn die Rechte auslaufen, ist im allgemeinen Sense, egal wie gut und beliebt der Film ist. Daß die Stiftung Deutsche Kinemathek noch eine Kopie von Taverniers "Der Saustall" hat, ist Zufall - und Glück für...

Im „fsk“ gibt es zur Zeit die seltene Gelegenheit, noch einmal „Der Saustall“ zu sehen, Bertrand Taverniers 1981 gedrehtes Porträt eines Mörders. Entstanden ist der Film nach einem Roman des amerikanischen Schriftstellers Jim Thompson, und Tavernier hat nicht viel an der Vorlage geändert. Er hat die Handlung von Amerika nach Afrika verlegt, und das war's dann auch schon.

Der „Saustall“ ist noch kein sehr alter Film. Daß man ihn dennoch eigentlich nicht mehr sehen kann, liegt daran, daß er keinen Verleih mehr hat. Die Stiftung Deutsche Kinemathek hatte noch eine Kopie, aber das war der reine Zufall. Üblicherweise kaufen die Verleihfirmen die Rechte beim Start für drei bis fünf Jahre und ziehen sich Kopien. Wenn die Rechte ausgelaufen sind, stampfen sie die Kopien ein. Die Möglichkeit, Rechte zu verlängern, werden immer seltener genutzt. Diese Praxis führt dazu, daß es etwa in Berlin kaum mehr vollständige Retrospektiven zu sehen gibt. Selbst von einem Filmemacher wie Godard gibt es in Deutschland zur Zeit nicht mehr als fünf Filme, die noch im Verleihprogramm sind. Deshalb ist es jetzt vielleicht für Jahre die letzte Möglichkeit, den „Saustall“ noch einmal zu sehen

Lucien Cordier (Philippe Noiret) ist Polizist in Bourkassa Ourbangui, einem kleinen Kaff irgendwo in Westafrika. Wenn er spazierengeht, grüßt er gleichermaßen freundlich Schwarze und Weiße. Er ist ziemlich massig, dreht die Füße nach außen, und in seinen pludrigen schmutzig-hellen Hosen zeichnen sich beim Gehen die Eier ab. Es ist wirklich ein sehr häßlicher und schmutziger Ort. Die Weißen, die hier leben, sind für die französische Heimat nicht tragbar: zu häßlich, um einen Mann in Frankreich zu finden, zu unfähig, einen französischen Job auszufüllen, zu korrupt, ein französisches Amt zu bekleiden, und zu verhurt für die französische Moral.

Lucien ist wegen seiner freundlichen Gutmütigkeit nicht sehr geachtet. „Ich wäre lieber der Blinde, der aus dem Fenster pißt, als der Witzbold, der ihm weismacht, es sei die Toilette“, sagt er einmal und hält still, selbst als ihn ein paar Zuhälter auf offener Straße ohrfeigen. Er ist kein Außenseiter in dieser Gesellschaft. Mag man ihn auch wie den Dorftrottel behandeln, in dieser Funktion gehört er dazu, mitsamt der Ehefrau (Stephane Audran), dem schwachsinnigen Schwager und Rose, seiner Geliebten (Isabelle Huppert). Rose wird regelmäßig von ihrem brutalen Ehemann verprügelt, aber in Luciens Armen verdreht sie die Augen und seufzt: „Oh, ich komme.“ Eines Tages begreift Lucien, daß er ein Werkzeug des HERRN ist, und macht sich daran aufzuräumen. Es sind ziemlich scheußliche Morde, die er begeht, in der Ausführung überhaupt nicht raffiniert oder geschmackvoll: Er schießt seine Opfer einfach nieder, und manchmal dauert es ein bißchen, bis sie endlich sterben. Trotzdem ist dieser Lucien nicht ganz unsympathisch, denn er ist ein Freund der Logik. „Ich bin Christus, ich versuche die Unschuldigen zu retten, aber genaugenommen gibt es keine Unschuldigen mehr.“ Aus diesem Dilemma entwickelt er ein paar Gründe für seine Morde, die den Vorzug haben, ganz und gar seine eigenen zu sein. Tavernier gibt nicht eine Sekunde der Versuchung nach, seinen Mörder zur Identifikationsfigur zu machen. Er wahrt respektvoll und manchmal auch belustigt Abstand. Nach jedem gelungenen Mord setzt die Filmmusik ein, als würden im Zirkus die Elefanten angekündigt. Luciens anziehende und abstoßende Momente sind sachte dosiert.

Er ist der einzige im Ort, der kein Rassist ist, und dann erschießt er einen Schwarzen. Er ist zart im Umgang mit den Frauen, und dann macht er aus seiner Geliebten eine Mörderin. Alles mit den plausibelsten Argumenten. Man ist nicht einen Moment versucht, sich diesem Irren nahe zu fühlen, aber es ist keine Kleinigkeit, gegen ihn zu argumentieren. Anja Seeliger

Ab heute, 22.15 Uhr, im fsk 1, Segitzdamm 2, Kreuzberg