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Tanz der Musketiere

Bei den French Open mangelt es schon in den ersten Runden nicht an Überraschungen  ■ Aus Paris Karl-Wilhelm Götte

„Platz der Musketiere“ heißt das Rondell zwischen dem Court Central und dem Platz Nummer eins im Stadion „Roland Garros“ in Paris. Er erinnert an die glorreichen Zeiten französischer Tenniskunst. Henri Cochet, René Lacoste und Jean Borotra gewannen von 1925 bis 1932 die „Internationaux de France“ nach Belieben und finden sich jetzt als in Bronze gegossene Tennisstatuen wieder. René Lacoste machte später aus seinem Spitznamen „Alligator“ ein großes Geschäft und entwarf zusätzlich noch die Ballmaschine.

Thomas Musters Ambitionen gehen weder in Richtung Erfinder, noch will er Textilfabrikant werden. Der österreichische Sandplatzheros (Muster: „Gras ist was für Kühe“) beherrscht Sand und Gegner in diesem Jahr so souverän, daß der Titel 1995 nur über den willensstarken Linkshänder gehen kann.

Die Ziele des Musketiers Mats Wilander, der seit einigen Jahren nach eigenem Bekunden ausschließlich nach dem Lustprinzip Tennis spielt, sind ganz andere. Was hat jedoch ein nach vier Stunden und 25 Minuten verlorenes Match mit Lust zu tun? „Das ist die einzige Aktivität im Leben, die ich so lange aushalte. Ob ich gewinne oder verliere, ich liebe es einfach, Tennis zu spielen“, offenbart der dreifache French-Open-Sieger nach seinem 7:6 (7:5), 6:7 (1:7), 3:6, 7:6 (7:4), 6:8-Marathon gegen den Südafrikaner Wayne Ferreira lapidar.

Mit 17 Jahren gewann er sensationell das erste Mal in Paris; zuletzt 1988, als er auch für einige Wochen die Nummer eins in der Welt war. Kurz danach setzte der Schwede andere Prioritäten, wollte raus aus der Tretmühle Profitennis. Er heiratete, machte eine längere Pause, lebte als 25jähriger „Frührentner“ unter anderem von seinen bis dato eingespielten sieben Millionen Dollar Preisgeld und kehrte vor zwei Jahren als „Freizeit- und Gelegenheitsspieler“ in den Profizirkus zurück. Bester Weltranglistenplatz seitdem: 107.

Der heute 30jährige Mats Wilander, inzwischen Vater von zwei Kindern, jagt keinen Ranglistenpunkten oder Preisgeldern mehr hinterher, kann es sich leisten, das Spiel an sich zu genießen. Andere müssen mühsam damit fertig werden, daß das schnellebige Spiel plötzlich über sie hinwegrollt. In Paris erwischte es Pete Sampras in der ersten Runde. Vor wenigen Monaten galt der 23jährige Mann aus Florida noch als fast unschlagbar. „Ich war gut vorbereitet, habe den Ball prima getroffen, aber ich war nicht gut genug“, gestand Sampras unumwunden ein. Er verlor mit 6:7 (3:7), 6:4, 7:6 (7:4), 2:6, 4:6 gegen den Österreicher Gilbert Schaller.

„Alle sechs Monate verändert sich das Spiel“, meint Boris Becker, „jedesmal merke ich, daß es wieder schneller geworden ist und noch härter geschlagen wird“, beschreibt er die rasante Entwicklung. Ständig müsse er das Training neu darauf ausrichten, um mithalten zu können, zumal er keine Größenvorteile mehr hat. „Da bin ich höchstens noch Durchschnitt, und der beste Aufschläger bin ich schon lange nicht mehr“, sagt Becker. Gerade der Sandbelag, der den Aufschlag äußerst wirksam entschärft, sorgt für größere Chancengleichheit und auf den 16 Tennisplätzen im „Bois de Boulogne“ in den ersten Runden für viele Überraschungen. Weltranglistenplazierungen sind auf Sand im Männertennis kaum noch Orientierungspunkte.

Den 30.000 Zuschauern, die täglich „Roland Garros“ bevölkern, gefällt dies. Sie bewundern die vermeintlichen Stars und haben ein Herz für Außenseiter. Zwischendurch bestaunen sie den umfangreichen, in den dezenten Turnierfarben Grün-Weiß gehaltenen Kommerz auf der Anlage. Der größte Andrang herrscht bei den Verkaufsständen, die das Turnieremblem auf exakt 52 verschiedenen Artikeln, vom Schlips bis zur Socke, feilbieten.

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