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Wir lassen lesenNahe am Tod

■ Die Masken des Muhammad Ali

„Dieser Bursche konnte sich bewegen“, schreibt George Foreman über Muhammad Ali in seiner gerade erschienenen Autobiographie, „als seine Bewegungstage vorüber waren, begann er zu leiden.“ Und er mußte seinen Stil ändern, um dennoch gegen Leute wie Foreman oder Joe Frazier gewinnen zu können. Jan Philipp Reemtsmas Buch „Mehr als ein Champion“ rekapituliert zwar auch den Lebensweg des Muhammad Ali geb. Cassius Clay, die Anfänge in Louisville, Kentucky, die Hinwendung zum Islam, die Weigerung, nach Vietnam zu gehen, widmet sich aber im wesentlichen dem Faustkämpfer. „Wer das verehrte, gehaßte, bewunderte, verachtete ... Bild ,Muhammad Ali‘ verstehen will“, so Reemtsmas These, muß „den Stil des Boxers Muhammad Ali untersuchen.“

Ausgangspunkt ist der denkwürdige „Thriller von Manila“ am 1. Oktober 1975, der dritte Kampf gegen Joe Frazier, den Reemtsma Runde für Runde beschreibt und analysiert. Jener Joe Frazier, den Foreman kürzlich „als härtesten Burschen des Planeten“ bezeichnete. „Du konntest ihm Schläge verpassen, die einen Elefanten niedergestreckt hätten, und er kam auf dich zu und lächelte.“ Foreman ließ es so weit nicht kommen. Er schlug Frazier 1973 in der 2. Runde k.o. und wurde Weltmeister – aus purer Furcht, wie er heute sagt: „Mann, hatte ich eine Angst. Ich wußte, wenn ich ihn nicht schnell loswerde, macht er mich fertig.“

Muhammad Ali in voller Blüte Foto: taz-Archiv

Die Kämpfe gegen „Smokin' Joe“ Frazier waren die Nagelprobe für Muhammad Ali. Nach seiner dreieinhalbjährigen Pause wegen Vietnamkriegsverweigerung war er schwerer und behäbiger geworden. Der eigentliche Ali-Stil – „Dance like a butterfly, sting like a bee“ –, mit dem er den Gegnern in seinen ersten Profijahren keine Chance gelassen und die Weltrangliste hoch und runter geschlagen hatte, gehörte der Vergangenheit an. Er wurde von Ali nur noch gelegentlich als „Selbstparodie“ simuliert, eine „Show, die den Zuschauern und Punktrichtern etwas bieten sollte“ (Reemtsma). Um die gefürchteten Kombinationen – wie Reemtsma richtig darstellt, Grundlage seiner vorzeitigen Siege – an den Mann bringen zu können, mußte er sich etwas anderes einfallen lassen. Ali war ein Boxer, der, anders als Foreman oder Liston, einen Kampf kaum mit einem Schlag entscheiden konnte, sieht man einmal vom legendären „Phantomschlag“ im zweiten Fight gegen Sonny Liston ab. Ali, so der Autor, benötigte die „Dominanz über die Bewegungsabläufe im Ring“. Jan Philipp Reemtsma unterscheidet drei verschiedene Stile, mit denen Ali dieses Ziel zu erreichen suchte. Den „klassischen“, mit dem er Sonny Liston bezwang, den von Kinshasa, welchem George Foreman zum Opfer fiel, und den von Manila gegen Joe Frazier.

Den unermüdlich angreifenden Frazier konnte er nicht mehr austanzen, und er konnte ihn auch nicht austricksen wie Foreman, den er sich müde schlagen ließ, um dann im entscheidenden Moment selbst die Initiative zu ergreifen. Gegen Frazier mußte er versuchen, sich so effektiv wie möglich zu verteidigen, seine Kräfte nicht zu verpulvern und, wenn der geeignete Augenblick gekommen war, mit harten Kombinationen zu treffen. Diese Taktik brachte Ali, wie er in seiner Autobiographie „My Own Story“ schreibt, „nahe an den Tod“, war aber am Ende erfolgreich, wenn auch nur äußerst knapp. Während Ali in der Pause zur 15. Runde darüber rätselte, ob er sich wohl beim nächsten Gong noch erheben könnte, kam aus Fraziers Ecke das Zeichen der Aufgabe. Smokin' Joe war am Abend nach dem Kampf nicht in der Lage, das Bankett des philippinischen Diktators Marcos zu besuchen, ließ seinem Gegner aber eine Nachricht zukommen: „Ich habe dich mit Schlägen getroffen, die eine Mauer eingerissen hätten, aber du bist stehen geblieben. Du bist ein großer Champion.“ Es war der letzte große Kampf in Muhammad Alis Karriere und sicher der, der seiner Gesundheit den größten Schaden zufügte. Wie Foreman richtig erkannte: Ali litt.

Jan Philipp Reemtsma, der immer brav den Wecker auf 4 Uhr stellte, wenn Ali kämpfte, und beim dritten Fight gegen Ken Norton 1976 bangen Herzens am Ring in New York saß, spürt nicht nur der boxerischen Persönlichkeit nach – jener „Maske, die immer anders kann“, wie Ernst Bloch, allerdings in bezug auf Igor Strawinksy, formulierte –, er macht auch die von Wieland in seinem „Aristipp von Kyrene“ beschworene „seltsame Art von schauderlichem tragischen Vergnügen“ transparent, welche das „grausenhafte Schauspiel“ vermittelt, das „die kaltblütige Wuth der Faustkämpfer“ bietet. Garniert ist das Ganze mit tief- und weniger tief schürfenden Zitaten von Leuten wie Theodor W. Adorno, Arno Schmidt, Sigmund Freud oder Thomas Mann, einer „anthropologischen Studie“ über assoziiertes, balanciertes und dissoziiertes Individuum, und als Zugabe gibt es eine ausführliche Würdigung der vom Geiste Muhammad Alis inspirierten Rocky- Filme des Sylvester Stallone.

Viel ist über Muhammad Ali geschrieben und gesagt worden, nicht zuletzt von ihm selbst – das kluge Buch von Jan Philipp Reemtsma gehört gewißlich zu den originellsten und kompetentesten Facetten der Ali-Forschung. Matti Lieske

Jan Philipp Reemtsma: „Mehr als ein Champion. Über den Stil des Boxers Muhammad Ali“, Klett-Cotta, Stuttgart, 180 S.,

32 DM, ISBN 3-608-93374-3

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