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Milliarden für marodes Mauerwerk

Berlin hat nicht genug Geld, um eine sozialverträgliche Sanierung des Altbaubestandes zu finanzieren / Die Sanierung einer Wohnung läßt sich der Senat bis zu 165.000 Mark kosten  ■ Von Norbert Seeger

Leben im Altbau: Für viele ist das Domizil in den zwischen 1900 und 1949 erbauten Häusern ein Muß an Lebensqualität. Damit es nicht zur Lebensqual wird, muß meistens jedoch eine Menge Geld in die Gebäude gesteckt werden. Die Stadterneuerung hat in den Jahren 1991 bis 1994 4,9 Milliarden Mark verschlungen. Für dieses Jahr sind laut Bausenator Wolfgang Nagel weitere 1,2 Milliarden Mark veranschlagt worden. „Die über 800.000 Wohneinheiten im Altbaubestand, die rund die Hälfte des gesamten Berliner Wohnraumes umfassen, sind in das Förderprogramm mit einbezogen“, so Fokko Sijbrandij, zuständig für Stadterneuerung und soziale Belange, von der Senatsbauverwaltung. Die Altbauten im Ostteil der Stadt müssen dabei wesentlich stärker gefördert werden als im Westen. Nicht nur wegen der durchschnittlich schlechteren Bausubstanz, sondern auch weil sich ein Großteil des Bestandes in kommunaler Hand befindet.

Während im Westteil Berlins Anfang der achtziger Jahre damit begonnen wurde, die massive Kahlschlagsanierung der siebziger Jahre durch eine behutsame Stadterneurung unter sozialverträglichen Gesichtspunkten zu ersetzen, setzten die Verantwortlichen in der DDR allein auf den Neubau von Wohnungen und vernachlässigten den Altbaubestand Berlins.

Trotzdem herrscht auch im Westen nicht eitel Sonnenschein im Altbaubestand. Im gesamten Stadtgebiet gab es 1993 181.000 erneuerungsbedürftige Altbauwohnungen, von denen 65.000 über kein eigenes Bad oder nur eine Außentoilette verfügten. Des weiteren gab es zum Zeitpunkt der Wende einen Leerstand von 7.000 Wohnungen im Bestand der Westberliner Altbauten. In Ostberlin betrug er 1990 rund 25.000.

Im Westteil der Stadt oblag die Sanierung von Altbauten ausschließlich den privaten Eigentümern. In Ostberlin war dies bis 1990 eine Aufgabe der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften (KWV) und der Genossenschaften, die zusammen mehr als 75 Prozent aller zur Verfügung stehenden Wohnungen inklusive der Altbauten verwalteten. Diese setzten ihren Schwerpunkt auf den Wohnungsneubau. Das war billiger als die Rekonstruktion der oftmals seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr ausreichend modernisierten Häuser. Außerdem versprach man sich durch Neubau bessere Wohnqualität aufgrund gehobenen technischen Standards.

Die Altbauwohnungen wurden zwar nach und nach zumindest mit einer Toilette und manchmal auch mit einem Bad ausgestattet. Doch war das meist der Eigeninitiative der Bewohner zu verdanken. Ein modernes Heizsystem installierten die Mieter sich selten in Heimarbeit, weswegen der größte Teil der Altbauwohnungen Ostberlins noch mit Kohlenöfen beheizt wird. Das ist im Westteil der Stadt genau umgekehrt. Für die Instandsetzung werden nach Angaben der Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen je nach Zustand der Wohnung zwischen 85.000 und 165.000 Mark pro Wohnung veranschlagt. Solche Summen können die Wohnungsbaugesellschaften, die 1990 die KWVs beerbten, nicht aufbringen. Nagel verkündet zwar: „Wer die Erhaltung unserer historischen Bausubstanz bejaht, der muß auch bereit sein, für den Erhalt der einzelnen Häuser einen hohen Aufwand an Fördermitteln zu tätigen.“ Doch das Land Berlin allein kann es auch nicht richten. Dazu Sijbrandij: „Mit dem bisher angenommenen Volumen von über einer Milliarde Mark und einer Laufzeit von 10 bis 15 Jahren ist nicht nur das Säckel der Stadt Berlin überfordert, sondern auch der Bund gefordert.“ Da in den öffentlichen Kassen derzeit jedoch Ebbe herscht, sollen sich vor allem private Investoren an der Stadterneuerung beteiligen.

Priorität sollte dabei, wegen der akuten Gefährdung des Bestandes vor allen Dingen in Ostberlin, die Grundinstandsetzung der Wohnungen haben. Für die Bewohner der betroffenen Altbauten hätte das verbesserte Lebensqualität bedeutet, ohne daß es zu einer Mietenexplosion gekommen wäre. Als Handikap erwies sich allerdings der im Juni 1990 im Einigungsvertrag verabschiedete Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse machten einen sofortigen Modernisierungsbeginn oftmals unmöglich. Den kommissarischen Hausverwaltungen waren die Hände gebunden. Wenige Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes wurde deutlich, daß die erhoffte und notwendige Investitionstätigkeit gerade im Bereich der Stadterneuerung aufgrund von Rechtsunsicherheiten, rechtlichen Restriktionen und fehlenden diesbezüglichen Erfahrungen nicht einsetzte.

Denn neben dem langwierigen Verfahren der Klärung der Eigentumsfrage, wobei ein Ende noch nicht in Sicht ist, gibt es auch mannigfaltige Probleme mit den bereits ermittelten Eigentümern. Denn obwohl ein Großteil dieser Eigentümer den ihnen quasi über Nacht in den Schoß gefallenen neuen Besitzstand wahren will, so bestehen doch Meinungsverschiedenheiten zwischen den mit der Stadtsanierung beauftragten Verwaltungen und den neuen Grundbesitzern. Während letztere nämlich eher die Vorstellung vom schnellverdienten Geld entweder durch Luxussanierung oder durch die Errichtung von Büroraum vor Augen haben, wie dies im Westen Berlins jahrelang praktiziert wurde und noch wird, sind die öffentlichen Stadtsanierer dazu angehalten, die Sanierung behutsam und sozialverträglich zu vollziehen. Dies vor allen Dingen deshalb, um einen „Verlust an Urbanität, Verschlechterung der Umweltsituation, einen Zuwachs an sozialen Spannungen und eine Einbuße an stadtplanerischer Glaubwürdigkeit zu vermeiden“, betont Sijbrandij.

Rund 13.500 der leerstehenden Wohnungen in Ostberlin konnten mittlerweile wieder vermietet werden. Ein Teil dieses Bestandes wurde sogar gesetzlich gebunden. Das heißt: Anders als in Westberlin gibt es hier auch in Altbauten weiterhin eine Form des sozialen Wohnungsbaus. Doch die Bindung hat einen Haken. Sie endet mit Ablauf des Jahres. Und obwohl zum Sommer hin noch einmal darüber entschieden werden soll, ist eine Neuauflage des Gesetzes unwahrscheinlich.

Damit käme auf die Bewohner der Altbauten in Ostberlin ein enormer Anstieg der Mieten zu. Das ursprüngliche Stadtbild würde wiederhergestellt, und viele der sanierten Gebäude hätten vermutlich eine bessere Ökobilanz als zuvor. Doch was architektonisch und vielleicht auch ökologisch erfreulich ist, hätte in diesem Fall einen sozialen Einbruch zur Folge. Leben im Altbau als Lebensqualität zu erfahren wird nach der Sanierung unbezahlbar für die, die bislang den Altbau als Qual erlebten.

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