: Grufti, Verwesi, Komposti & Kuli
■ Inge-Meysel-Gala: „Dank an eine Unverbesserliche“, Samstag, 20.15 Uhr, ZDF
„Das ist das deutsche Phänomen“, singt Konstantin Wecker und bringt damit den Abend auf den Punkt. Denn eins ist diese ZDF-Gala zu Ehren der 85jährigen Inge Meysel ganz bestimmt: hemmungslos deutsch. Egoman- bescheiden wie immer warnte die Jubilarin zwar zuvor im Stern- Interview, daß alle, die sie feiern wollten, nur „Idioten“ sein könnten – doch da war's schon zu spät.
450 Ehrengäste aus Film- und Fernsehbranche sowie Sozialdemokratie (einschließlich Helmut Schmidt – mal als „Bundeskanzler“, mal als „Staatsoberhaupt“ bezeichnet) sitzen also im Hamburger Schmidt-Theater beisammen, und es geht los: Eine meistenteils gemütliche Familienfeier, rührend improvisiert, mit salbungsvollen Spitzen und Filmausschnitten statt Wohnzimmer-Diaschau.
Jeder hat brav sein Zettelchen mit der ersten Meysel-Begegnung parat. Oder bringt einen auf die Mutter der Nation gemünzten Schlager respektive Welt-Hit zum Vortrag. Vergeblich versucht Conferencier Hape Kerkeling, die etwas betuliche Atmosphäre zu ironisieren. Doch gleich zu Beginn betritt mit Dagmar Frédéric (Ost) und Mary Roos (West) die fleischgewordene Wiedervereinigung die Bühne (raten Sie, welche das festliche Lange und welche den frechen roten Mini trug). Für das ebenso unumgängliche Berlin-Flair sorgen in der Folge Ursela Monn und Katja Ebstein; den angejahrten musikalischen Rebellen Reinhard Mey und Konstantin Wecker fällt die Aufgabe zu, die politische Seite der Inge Meysel zu symbolisieren. Fast ohne Ehrfurcht vor schlohweißen Haaren bringen nur Carrell und Kulenkampff ihre erprobten Witze zum Vortrag. Mit „Grufti, Verwesi, Komposti“ trifft Kuli sogar den Meysel-Ton.
Das alles und einen nicht eingeplanten Sturz von der Bühnentreppe bringt die Jubilarin tapfer hinter sich. Und drückt sogar den tausendjährigen Johannes Heesters ans Herz, der steile Nazikarriere machte, als Inge Meysel als jüdischer „Mischling ersten Grades“ Berufsverbot hatte. Auch dies ein deutsches Phänomen.
Heesters' unsittliches Angebot, gemeinsam mit ihm 100 Jahre alt zu werden, lehnt die Meysel allerdings charmant ab. Gut so – selbst wenn's nur deshalb geschah, weil Mutter immer das letzte Wort haben muß. Hans-Hermann Kotte
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