: Heckelmann will vorzeitig abschieben
■ Etwa 10.000 Vietnamesen in Berlin sind betroffen / „Reistrommel“ warnt vor Prozessen wegen Vaterlandsverrats
Berlin wird seiner Vorreiterrolle in der Ausländerpolitik gerecht. Kaum hatte ein Sprecher des Bonner Innenministeriums am Samstag bekanntgegeben, daß man sich mit Hanoi über die Aufnahme abgeschobener Vietnamesen einig sei, kündigte die Berliner Innenverwaltung an, noch vor Unterzeichnung eines solchen Abkommens abzuschieben. Über ein solches Vorgehen, erklärte Kuno Böse, Staatssekretär von Innensenator Dieter Heckelmann (CDU), bestehe mit Bonn Übereinstimmung.
In Berlin sollen laut Böse etwa 10.000 „illegale“ und „straffällige“ Vietnamesen abgeschoben werden, bundesweit sind es 40.000. Neben straffälligen Zigarettenhändlern droht laut Bundesregierung auch illegalen Flüchtlingen, abgewiesenen Asylbewerbern sowie ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern ohne Bleiberecht die Abschiebung. Betroffen könnten in Berlin vor allem jene sein, die bereits ausgewiesen sind, deren Abschiebung aber wegen der bisherigen Haltung Hanois noch nicht erfolgt ist.
Während Innenstaatssekretär Böse das bevorstehende Abkommen als „Licht am Ende des Tunnels“ feierte, warnte der deutsch- vietnamesische Freundschaftsverein „Reistrommel“ vor Menschenrechtsverletzungen. „Zur Zeit gibt es in Vietnam Vorbereitungen für Verfahren wegen Vaterlandsverrats“, erklärte die Vereinssprecherin Tamara Hentschel gegenüber der taz. Menschenrechtsfragen waren bei den viertägigen Verhandlungen in Bonn offenbar nicht angesprochen worden, sondern gehörten zu den „Detailfragen“, die es laut Böse noch zu klären gelte. Die Beteuerungen Böses, legale Vertragsarbeiter davor zu schützen, mit straffällig gewordenen Vietnamesen in Verbindung gebracht zu werden, wies die „Reistrommel“-Sprecherin entschieden zurück: „Hier geht es offenbar um alle Vietnamesen. Auch bei den Vertragsarbeitern wurde bewußt kein gesicherter Aufenthaltsstatus gewährt“, sagte Hentschel. Außerdem gebe es bei der Innenverwaltung Abschiebelisten, bei denen Vertragsarbeiter ganz oben stünden. Die Innenverwaltung wies dies als Behauptung zurück.
Innenstaatssekretär Böse begrüßte die Einigung in Bonn als „Durchbruch“. Gerade die Zigarettenmafia, der in Berlin in diesem Jahr bereits zehn Menschen zum Opfer gefallen sind, stehe für die „Explosion der Gewalt in Berlin“. Die Abschiebung noch vor der Unterzeichnung des Akommens bezeichnete Böse als Gratwanderung zwischen dem Erwartungsdruck in Berlin und den bislang noch nicht vereinbarten Details bei der Wahrung der Menschenrechte. Jetzt nicht abzuschieben, meinte Heckelmanns Staatssekretär, führe bei den Berliner Bürgern jedoch zu einem Verlust an Rechtsbewußtsein. Uwe Rada
Siehe Bericht Seite 4
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