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Die Grüne Powerliesel

Umwelt-, Wirtschafts- oder Frauen- ministerin? Wenn eine Grüne ins nordrhein- westfälische Kabinett einzieht, wird es Bärbel Höhn sein  ■ Von Bascha Mika

Eine Wollsocke aus Oberhausen. Farbe: Grün. Qualität: rubbelfest, strapazierfähig. Gütesiegel: BI-erprobt. So ein richtig alternativer Strickstrumpf eben. – Es soll einen Menschen geben, der dieses Image mit sich herumträgt, und den das nicht stört. Bärbel Höhn, grüne Spitzenfrau in Nordrhein- Westfalen. „Ich bin praktisch veranlagt und will handfeste Politik machen“ sagt sie, „Man sieht mir an, daß das Leben Spuren hinterläßt, und das find ich gut. Und man sieht mir auch an, daß ich eine Kämpferin bin.“

„Ich bin schon sehr selbstbewußt“

Zu sehen ist eine Frau Anfang 40, der man bedenkenlos die eigenen Kinder anvertrauen würde. Da ist dieses Grinsen, das sich im Nu ausbreitet, ein Gesicht, breit genug, um offen zu wirken, und eine körperliche Fülle, die gern „mütterlich“ genannt wird. Nicht zufällig warb Höhn im Wahlkampf mit dem Slogan: „Warum am Muttertag den Landesvater wählen?“

Das Kämpferische offenbart sich auf den zweiten Blick. Um den kleinen Mund hat sich ein beharrlicher Zug eingegraben, und die Lippen können sehr schmal werden. Scharfe, graugrüne Augen und eine Stimme, die ins Schrille wegkippen kann.

Diese Frau – die selbst in NRW kaum jemand kennt – will Ministerin werden. Und nur das Scheitern eines rot-grünen Bündnisses kann sie daran hindern. Keinesfalls wird Bärbel Höhn über zu viel Bescheidenheit stolpern. Es braucht schon eine Menge Selbstvertrauen, um sich – schon nach fünf Jahren Arbeit im Landesparlament – mit dem Politikermonument Rau zu vergleichen. In einem Interview vor der Wahl hatte die Grüne ungeniert angemerkt, sie und Rau seien schließlich beide Profis. „Ich bin schon selbstbewußt“, meint sie munter, „ich weiß auch nicht, woher das kommt.“

Als „überdimensioniert“ schelten KritikerInnen in den eigenen Reihen dieses Auftreten. Doch die GegnerInnen in der SPD goutieren den Stil – so, als hätte die Alternative begriffen, worauf es in der Politik ankommt. Selbst Sozialdemokrat Klaus Matthiesen, der als „Möllemann des Umweltschutzes“ mit Höhn eine intime Fehde ausfocht, gesteht, daß er mit ihr gern diskutiere – wegen ihrer Standfestigkeit. Im „Dioxin-Untersuchungsausschuß“ hat die grüne Fraktionsvorsitzende den roten Umweltminister vorgeführt und seine Propagandalüge, Dixoin rufe keine chronischen Schäden hervor, entlarvt.

„Ich bin keine typische Linke“

Die Linken hatten im nordrheinwestfälischen Verband das Sagen, doch kleingekriegt haben sie die Realos nie. Streitpunkte waren: Einwanderungsgesetz contra offene Grenzen, Militäreinsatz in Ex-Jugoslawien, Ökoabgaben, Verfassungsschutz, Wertediskussion, schwarz-grüne Bündnisse. Bärbel Höhn war immer eine Kandidatin der Linken. „Links sein bedeutet für mich“, definiert sie mit bemerkenswerter Schlichtheit, „sich für diejenigen einzusetzen, die keine Lobby haben.“ Die Linken in ihrer Partei besorgten ihr bei den 1990er und 1995er Wahlen den ersten Platz auf der Landesliste. Und wählten sie zu Beginn der letzten Legislaturperiode zur Fraktionssprecherin. „Eine linke Proporzfrau“ schmähen die Realos. „Eine engagierte und menschliche Politikerin“ halten die Linken dagegen. Verliererinnen gegen Bärbel Höhn waren immer Realas. Eine davon ist Beate Scheffler. Sie wirft dem linken Flügel „Dogmatismus“ vor und verließ deshalb kürzlich die Partei. Scheffler: „Wenn es zum Konflikt kam, hat Bärbel immer auf der linken Seite gestanden. Das reicht nicht als Qualifikation für eine Fraktionssprecherin, die für alle da sein soll.“ Bärbel Höhn hat sich Frauenstatut und Frauenförderung auf die Fahne geschrieben. Doch sie gibt zu – zögerlich: „Die Strömungen in der Fraktion waren oft stärker als die Solidarität unter den Frauen.“

„Ich werde gerne geliebt“

Nach dem Wahlerfolg hatte keine der beiden Richtungen einen Fahrplan für die rot-grüne Vision in der Tasche. Doch genau das wird in Düsseldorf zur Zeit verlangt. Und prompt verstrudeln die Strömungen zum milden Strom Richtung Koalition. „Ich bin eine Linke“, sagte Bärbel Höhn noch vor einer Woche. Bereits vier Tage später, am ersten rot-grünen Verhandlungstag, wurde sie im Fernsehen als „linke Reala“ bezeichnet. Was ist das? Anpassung oder Weitsicht? Höhn: „Der Gegensatz Linke/Realos wird in der neuen Fraktion unwichtiger. Das finde ich sehr gut.“ Sie, die noch 1990 öffentlich verkündet hat, daß sie die PDS „ganz gut“ finde, verkündet heute: „'Ne Linke oder 'ne Fundi – das ist ein Klischee, das meine Arbeit nur behindert hat.“

„Ich möchte diejenige sein“, sagt Bärbel Höhn, „die logisch denken kann und die trotzdem ihre Gefühle rausläßt.“ Da will eine Frau alles sein. Und alles haben. „Ich werde eben gerne geliebt, wie alle Menschen.“ Hat sie sich deshalb nie getraut, dem links-grünen Mainstream in ihrem Landesverband etwas entgegenzusetzen? Deshalb immer das ausgesprochen, was die ideelle gesamtgrüne Seele nordrhein-westfälischer Prägung so fühlte?

Als sie sich von ihren ParteifreundInnen nicht mehr geliebt glaubte, wollte sie vom Fraktionsvorsitz zurücktreten. Das war 1993. „Ich hab' mich sehr belastet gefühlt. Das hat 'was damit zu tun, daß einer Frau weniger zugetraut wird.“ Jeder Fehler sei gnadenlos zur Sprache gebracht worden. Welche Fehler? Sie zaudert. Na ja, so etwas wie die Äußerung über die PDS, die wirklich nicht geschickt gewesen sei. Politik sei „ein schmutziges Geschäft, ein menschlich grausames Spiel“. Trotzdem blieb sie auf dem Posten.

„Hundertfünfzigprozentig“ engagiere sie sich, beschreibt sie ihren Charakter, könne aber auch „gut entspannen und genießen“. Solange sie sich wohl fühlt in ihrer Haut, wirkt sie unerschütterlich locker. Redet mit weitausholenden Gesten und in gelassenem Ton. Doch gerät sie unter Druck – sei es im innerparteilichen Konkurrenzkampf oder in der Debatte mit dem politischen Gegner – fällt die Souveränität ab. Der Mund wird schmal, der Blick verbissen, der Ton hektisch. Dieser Zug hat sie in den Augen mancher BeobachterInnen zur Eiferin gestempelt.

„Ich bin ziemlich vielseitig“

Das hört sie nicht gern. Da redet sie schon lieber über ihre Genußfreudigkeit. Schon als junges Mädchen habe sie sich entscheiden müssen, entweder zu hungern oder dick zu werden. Sie habe das „Weiche und Mollige“ gewählt. Trotzdem bekennt sie ein wenig verlegen: „Ich esse zuviel.“

Am Abend nach der erfolgreichen Wahl verlangte Bärbel Höhn vollmundig eine „Wende“ in Nordrhein-Westfalen. Vor allem in der Kohle- und Verkehrspolitik. Seitdem sie gemerkt hat, wie harsch die SPD reagiert, spricht sie zurückhaltend von „Kurskorrektur“. Opportunismus oder Politikfähigkeit? „Ich hab' mich nicht weichmachen lassen. Die Begriffe sind nicht entscheidend, wenn's um die Sache geht, gibt's kein Vertun.“

Für den kniffligsten Verhandlungspunkt, den Braunkohletagebau „Garzweiler II“, trifft das sicher zu. Von anderen Forderungen aus ihrem „Sofortprogramm“ sind die Grünen freiwillig abgerückt. Niemand besteht mehr darauf, daß die Abschiebeknäste sofort geschlossen, der Verfassungsschutz aufgelöst und sofort Kindergartenplätze garantiert werden.

Zwei Kabinettsposten werden die Grünen den SozialdemokratInnen abnehmen. Welchen hätte Frau Höhn dann gern? Das Umweltressort, das Frauenministerium oder jenes für Wirtschaft? „Ich bin vielseitig“, bemerkt sie lapidar und zählt auf: Abfallpolitik, ökologischer und sozialer Umbau, Kommunales, Frauenpolitik. „Im Umweltbereich würde mir kaum jemand die Kompetenz abstreiten.“ Ein Frauenministerium sozialdemokratischer Prägung ergibt für Höhn „keinen Sinn“: „zu klein und unbedeutend“. Sie würde sich dort nur verdingen, wenn das Ministerium um die Bereiche Arbeit oder Wirtschaftsförderung erweitert und finanziell besser ausgestattet würde. Weichen müßte dann die bisherige SPD-Ministerin Ilse Ridder-Melchers, die über die Grüne sagt, sie sei „kämpferisch und offen im Umgang“.

„Ich habe genügend Machtinstinkt“

An Politik, sagt Bärbel Höhn, reize sie die Möglichkeit der Veränderung. „Was ich dazu brauche, ist Macht!“ Dann lauert sie, ob der Auspruch wohl provozierend wirkt. Höhn ist die einzige grüne Frau der Fraktion, die ihren Machtinstinkt offen zugibt und ihn, wie selbst GegnerInnen bestätigen, „geschickt einsetzt“. Macht- und Konkurrenzkämpfe gibt es vor allem mit Realo Michael Vesper, dem bisherigen Fraktionsgeschäftsführer. Mit ihm wird sie sich um die beiden grünen Ministerien streiten müssen. Vesper hat alles, was Höhn nicht hat: Eloquenz, staatsmännisches Auftreten, Attraktivität, männliche Gene. Er sei ein „eitler Gockel“, ein „Selbstdarsteller“, lästern grüne und rote Frauen in schöner Eintracht.

Die Medien stilisieren Vesper zum Sunnyboy, Höhn zum Trutchen. Er kennt sich aus beim Parlamentarismus, sie beim Müll. Doch beide haben Mathematik studiert, sind fast gleich alt und stehen sich in ihrem Geltungsdrang kaum nach. Auch Antipoden sind manchmal ein Paar.

Oder wollen eins werden. Höhns Intimfeind Matthiesen, bisheriger Umweltminister und ruppigster Grünen-Gegner, sitzt als neuer Chef der SPD-Fraktion auf der anderen Seite des Tisches. Vor der Wahl hatte er Höhn absichtsvoll beleidigt. Sie verlangte eine Entschuldigung. Daß es die bis heute nicht gibt, hinderte Höhn nicht daran, mit Matthiesen letzte Woche beim Cognac die rot-grüne Zukunft zu erörtern. Schwäche, Abgebrühtheit oder Geschicklichkeit? Der Wille zur Macht.

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