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„Das Mandat wird von nun an durchgesetzt“

■ Britische UN-Soldaten im zentralbosnischen Vitez geben sich selbstbewußt und fest entschlossen

Sportlich, freundlich, fähig und intelligent – so präsentiert sich John Wilsey auf der Basis der britischen UNO-Truppen im zentralbosnischen Vitez. Stolz schwingt in der Stimme des britischen Generals mit, als er an diesem Samstag erklärt, daß es nur 36 Stunden gedauert habe, bis nach dem Kabinettsbeschluß in London die Vorhut von 1.000 Mann der neuen britischen Eingreiftruppe nach Bosnien gekommen sei. „Ein hervorragende militärische Leistung“, lobt er seine Armee. Und die Soldaten und britischen Journalisten nicken ihm bestätigend zu.

Wenn es eine UNO-Truppe gibt, die militärisch in der Lage ist, den Anforderungen des „Mandats“ zu genügen, so stimmen die meisten Beobachter überein, dann ist es die britische. Die Hilfskonvois wurden vor allem durch britische UNO-Truppen von der Küste bis hierher geschleust, sie waren es, die von Beginn an die strategisch wichtigsten Wege kontrollierten. Im Herbst 92 waren es britische Truppen gewesen, die den Zugang zum ostbosnischen Tuzla sogar mit militärischer Gewalt erzwangen.

Der ohrenbetäubende Lärm der Ketten der Warrior-Panzer hatte damals der Bevölkerung im noch freien, nicht von Serben besetzten Teil Bosniens sogar ein trügerisches Sicherheitsgefühl vermittelt. Die UNO-Truppen, so hoffte sie, würden sie schützen. Doch schon bald schwanden diese Hoffnungen, nachdem sie lediglich auf bosnisch kontrolliertem Gebiet stationiert worden waren. Und als dann im April 1993 die kroatischen Extremisten aus der Westherzegowina es gerade hier in Vitez wagten, die nichtkroatischen Bewohner aus den Häusern zu vertreiben, die kaum fünf Meter von der Militärbasis entfernt liegen, rührten selbst die gutausgerüsteten britischen Soldaten keine Hand. „Ethnische Säuberungen“ und Verbrechen zu verhindern, falle nicht unter „das Mandat“, hieß es damals im UNO-Hauptquartier.

Manche, auch britische UNO- Soldaten haben darunter gelitten und den Dienst quittiert. Geändert hat dies am UNO-Mandat freilich nichts. Im Gegenteil: Die anfänglich vorherrschende Meinung, das Mandat schlösse ein, die humanitären Hilfskonvois nach Sarajevo und den Bestand der Enklaven auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen, ist nach und nach „präzisiert“ worden; nur im Einverständnis mit allen „Kriegsparteien“ sollte seit 1993 humanitäre Hilfe transportiert werden. Und selbst die Schwelle für die Selbstverteidigung der UNO-Truppen wurde nach und nach erhöht.

Aber das soll ja jetzt alles anders werden. General Wilsey wird ernst. „Das Mandat wird von nun an durchgesetzt.“ Dazu werde die Truppe auch mit schweren Waffen ausgerüstet, selbst Artillerie sei auf dem Weg nach Bosnien. „Wir wollen zur Selbstverteidigung in der Lage sein.“ Und die Züge des Mittvierzigers werden harsch, als das Schicksal der britischen UNO- Geiseln angesprochen wird. „Die gefangenen UNO-Soldaten müssen sofort freigelassen werden.“ Die neue Truppe, so führt er aus, werde dem britischen UNO-Oberkommandierenden in Sarajevo, General Rupert Smith, unterstellt. Sie sei als eine Reservemacht gedacht. Er glaube allerdings nicht, daß sie im Falle der Enklave Goražde, wo ebenfalls britische Truppen stationiert sind, eingesetzt werde. „Das ist nur im Einverständnis mit den Serben möglich.“ Doch er schweigt auf die Frage, ob der serbische Belagerungsring um Sarajevo durchbrochen werden könnte.

Daß der Generalsekretär der UNO, Butros Butros Ghali, wie der Präsident Bosnien-Herzegowinas, Alija Izetbegović, erst nachträglich vom Kabinettsbeschluß der britischen Regierung informiert worden sind, daß es auch keinen Beschluß des Weltsicherheitsrates über die Stationierung zusätzlicher britischer Truppen in Bosnien gegeben habe, ficht den General nicht an. Die politischen Fragen seien an die Politiker zu stellen, er habe hier militärische Probleme zu lösen, so Wilsey. Und er steigt in einen Hubschrauber, der ihn in das Nato-Hauptquartier in Neapel bringen wird.

Auf den blumenübersäten Weiden um Vitez grasen Kühe, lediglich die zerstörten Häuser erinnern daran, daß hier vor zwei Jahren die grausamsten Kämpfe tobten. An der Straße, die von hier ins knapp 80 Kilometer entfernte Sarajevo führt, haben Kroaten und Muslime wieder zu einem Nebeneinander gefunden. Manche Dörfer sind von der bosnischen Armee, manche von der kroatischen HVO kontrolliert. An den Kontrollpunkten brauchen UNO-Lastwagen nicht anzuhalten. Präsident Izetbegović hat den britischen Truppen nach anfänglichem Zögern Bewegungsfreiheit zugesichert. Die Transporter sind auf dem Weg nach Kiseljak, das 24 Kilometer vor Sarajevo an der Frontlinie zu den Serben liegt.

Jede Menge Material und sogar Artillerie seien schon angekommen, flüstert ein kanadischer Offizier. In Kiseljak werde das Hauptquartier der neuen Eingreiftruppe eingerichtet, zu der auch französische Truppen stoßen werden. Britische Soldaten einer Transporteinheit lassen nach anfänglichem Zögern durchblicken, daß es hier wohl bald losgehen werde. Nato- Flugzeuge malen Kondensstreifen an den Himmel über Sarajevo.

Sead Imamovic will noch nicht so recht an eine Aktion der neuen Eingreiftruppe zur Befreiung Sarajevos glauben. Der bosnisch- muslimische Politiker aus Zenica ist auf dem gefährlichen Weg über den Berg Igman in die eingeschlossene Stadt. „Wahrscheinlich wollen Briten und Franzosen nur weitere Luftangriffe der USA und der Nato verhindern.“ Wäre die Eroberung eines Korridors nach Sarajevo geplant, müßte die bosnische Armee in diese Aktion einbezogen werden. Dafür gebe es aber keine Anzeichen. „Briten und Franzosen wollen wahrscheinlich nur Druck machen, um die UNO- Geiseln zu befreien und ihren politischen Einfluß in Bosnien zu vergrößern.“ Erich Rathfelder, Vitez

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