piwik no script img

„Ich habe ein längeres und ein kürzeres Bein“

■ Joseph Pine, Experte für Maßarbeit in Massenfertigung, ist sicher, daß es in fünf Jahren Maßgeschneidertes für jedermann/-frau gibt. Aber die Zeit der Schlußverkäufe ist vorbei

Joseph Pine ist der Autor des Buches „Mass Customization“ (Boston 1992, in deutsch erschienen unter dem Titel „Maßgeschneiderte Massenfertigung“, Wirtschaftsverlag Karl Ueberreuther, Wien 1994). Als Chef des Unternehmensberater-Instituts Strategic Horizon Inc. arbeitet er für US-Firmen wie Hewlett Packard, Swic Textils (ein Jeansstoff-Hersteller) und die Versicherungsfirma USAA.

taz: Mr. Pine, Sie gelten als Experte für die individualisierte Massenfertigung. Bricht mit Levi's maßgefertigten Jeans eine neue Ära des Industriezeitalters an?

Joseph Pine: Zumindest eine neue Ära des Wettbewerbs. Massenproduktion war bisher für die meisten Firmen der einzige Weg des Wettbewerbs. Und sie waren damit sehr erfolgreich. Aber diese Form der Produktion ist jetzt nicht mehr effektiv, jedenfalls in vielen Industriezweigen. Die Lebenszyklen für Produkte werden immer kürzer, die Konsumentenwünsche immer vielfältiger. Firmen können sich nicht mehr länger auf die Stabilität verlassen, die ihnen die Massenproduktion bislang bot. Massenproduktion nach Maß ist dagegen ein neues System, das den Kunden genau das bietet, was sie wünschen. Und die Firmen befähigt es, qualitativ hochwertige Ware zu geringem Preis und ohne Überschüsse zu produzieren.

Welche konkreten Auswirkungen hat das Prinzip der maßgeschneiderten Massenware auf die Bekleidungsindustrie?

Die Umwälzungen werden gewaltig sein. Die Bekleidungsbranche ist dazu berufen wie kein anderer Industriezweig, weil eigentlich jeder Kunde am liebsten maßgeschneiderte Ware hätte. Schließlich ist jeder menschliche Körper anders. Wenn sich die individualisierte Massenfertigung erst mal durchsetzt, wird es etwa keine Schlußverkäufe mehr geben, keine Produktionsüberschüsse, keine teure Lagerhaltung.

Auf meine maßgemachte Jeans mußte ich 14 Tage warten. Das erscheint mir entschieden zu lang.

Levi's kann sich die Wartezeit noch leisten, weil sie diesen Service bislang konkurrenzlos anbietet. Die Schwierigkeiten liegen dabei nicht im Herstellungsprozeß – der dauert nicht länger als zwei Tage –, sondern in der Auslieferung. Wenn es erst mal mehrere Anbieter mit diesem System gibt, wird sich das schnell ändern.

Aber wie sollen denn die Millionen von Jeanskäufern alle auf einmal bedient werden? Wird es dafür gigantische Produktionsanlagen mit computergesteuerten Fertigungsanlagen geben?

Es muß nicht heißen, daß es dann eine riesige Fabrik sein wird. Wahrscheinlicher ist, daß es viele kleine Produktionseinheiten geben wird, die regional angesiedelt sind, damit die Wege zum Konsumenten so kurz wie möglich sind.

Wie lange müssen wir auf diese Bekleidungszukunft warten?

Ich glaube, daß in den nächsten fünf Jahren bereits in allen großen Bereichen der Bekleidungsbranche maßgeschneiderte Massenprodukte angeboten werden.

Wo kaufen Sie denn Ihre Hosen und Anzüge?

Levi's bietet diesen Service ja bislang nur für Frauen an. Aber die geben mir Bescheid, wenn sie das gleiche auch für Männer machen. Denn ich habe ein längeres und ein kürzeres Bein und deshalb immer Probleme, eine passende Jeans zu finden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen