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Leere Lohntüte für süße Schokolade

■ In der Ost-Süßwarenindustrie streiken Frauen gegen ihre gnadenlos schlechte Entlohnung

Berlin (taz) – 1.250 Mark gibt ein Vier- Personen-Haushalt im Westen monatlich für Überflüssiges aus. Auto, Klamotten, Möbel – schon ist die Kohle weg. Isabella Limpert, Maschinenführerin in Thüringen, schmeißt das Geld nicht ganz so locker zum Fenster hinaus. Die Summe ist ihr monatlicher Nettolohn für ihre Schufterei in den Thüringer Schokoladenwerken Saalfeld GmbH. Zwei-Schicht-Betrieb, 40-Stunden-Woche. „Viele Frauen gehen hier mit noch weniger raus“, sagt Limpert. Vielleicht nicht mehr lange: Beim Streik in der Süßwarenindustrie im Osten setzen sich vor allem Frauen gegen die diskriminierende Bezahlung zur Wehr.

Der Streik ist der bundesweit erste Arbeitskampf in der Branche überhaupt. 4.000 Beschäftigte ackern in den Ostbetrieben zur Herstellung von Schokolade, Keksen und Eis. Knapp 1.000 Kolleginnen traten bisher schon in den Ausstand. Die Streiks sollen nach dem Scheitern der vierten Runde der Tarifverhandlungen jetzt noch weiter ausgedehnt werden, kündigte die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) gestern in Leipzig an.

Die NGG fordert eine Lohnerhöhung von 11 Prozent und die Angleichung der Entgelte an Westniveau bis zum Jahr 2000. Die Arbeitgeber offerieren Lohnerhöhungen, die (allerdings nur nach ihren eigenen Berechnungen) Steigerungen von 8,9 Prozent ergeben. Was aus Westperspektive von der Prozentzahl her gar nicht mal so knickerig wirkt, erzeugt bei den Ostarbeiterinnen nichts als helle Empörung. Denn 80 Prozent der SchokosortiererInnen und PralinenpackerInnen sind Frauen, die ganz überwiegend nach den Tarifen in den untersten Lohngruppen bezahlt werden. Der Bruttolohn liegt dort zwischen 1.555 Mark und 1.768 Mark. „Die Kolleginnen haben so zwischen 900 und 1.200 Mark auf der Hand“, schildert Limpert. „Wer allein ist oder gar Kinder hat, kann davon nicht leben.“ Im Westen kriegen die ArbeiterInnen 40 Prozent mehr.

„Das ist auch ein Frauenstreik“, betont Rita Eichhorn, Sprecherin der NGG in Leipzig. Im Westen hätten die Beschäftigten in der Süßwarenindustrie all die Jahre die niedrigen Frauenlöhne als „Zuverdienst“-Löhne akzeptiert. Im Osten aber mit den vielen alleinerziehenden Frauen wird es politisch brisant, wenn viele Arbeiterinnen sich selbst und die Kinder nicht mehr ernähren können, trotz aufreibender Maloche. „Hier streiken sogar Frauen mit, die gar nicht in der Gewerkschaft sind, weil sie sich den Mitgliedsbeitrag nicht leisten können“, erzählt Limpert.

Nicht nur der Arbeitskampf in der ostdeutschen Süßwarenindustrie, auch der Streik im west- und ostdeutschen Einzelhandel ist ein „Frauenstreik“. Bestreikt wurden gestern Warenhäuser und Supermärkte in Thüringen, Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Margret Mönig-Raane, kündigte an, die Streiks im Einzelhandel so kräftig auszuweiten, „daß es weh tut“. Das Arbeitgeberangebot von 3 bis 3,4 Prozent mehr Gehalt sei „kurzsichtig und unverschämt“. „Wir fordern zwischen 190 und 250 Mark beziehungsweise 6 Prozent mehr, damit wir den Abstand zu anderen Branchen nicht verschlechtern.“ Barbara Dribbusch

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