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Wo die Lichtverhältnisse stimmen

■ Katalanisch ist kein spanischer Dialekt - Anläßlich der Literaturreihe des DAAD im Rahmen der "Festa Catalana" sprach Patricia Caspari mit dem Lektor katalanischer Literatur, Josep Termens, und dem...

„Wenn du Spanisch lernen willst, warum bist du dann in Katalonien?“ Diese Frage mußte sich die Berliner Architekturstudentin Simone Frings gleich zu Beginn ihres Barcelona-Jahres gefallen lassen – und auch, daß in dieser internationalen Architektur- und Design-Metropole einige Vorlesungen nur auf katalanisch gehalten wurden. Daß die Spanisch-Kompakt-Kurslerin die falsche Sprache gelernt hatte, hätte sie sich nicht träumen lassen.

Spanisch sprechende AusländerInnen merken es sofort; daß KatalanInnen auf katalanisch sprechen, schreiben und denken, wird im übrigen Spanien und im Ausland ansonsten kaum wahrgenommen, nicht ernstgenommen oder im schlimmsten Fall übelgenommen. „Ist es schwer, in Katalonien auf katalanisch zu schreiben?“, wird Quim Monzó, ein führender Autor zeitgenössischer katalanischer Literatur, oft gefragt.

Doch beim Katalanischen handelt es sich nicht um eine Mundart oder einen Dialekt des Hochspanischen, sondern um eine eigenständige Sprache mit jahrhundertelanger Tradition. Darauf wollen Quim Monzó, Enric Casassas und die sechs weiteren AutorInnen der Veranstaltung „Literatur aus Katalonien“ (11. bis 16.6.) im Rahmen der „Festa Catalana“ ebenso hinweisen wie die VeranstalterInnen der Ausstellung „800 Jahre Katalanische Literatur“ im Iberoamerikanischen Institut.

„Die Sprache ist für uns der Schlüssel für unser katalanisches Selbstverständnis“, erläutert Josep Térmens, Lektor für katalanische Literatur. „In der Geschichte unserer Sprache spiegelt sich unsere kulturelle Identität.“ Eine Identität, die weit älter ist als die spanische, welche erst im Zuge der Nationenbildung im 18. Jahrhundert aufkam. Die katalanische Sprache wird schon seit 1.000 Jahren gesprochen. Im 13. Jahrhundert machte sich dann das „Allroundgenie“ Ramon Llull, Poet, Philosoph und Sprachtalent, an ein Werk, an das sich erst 200 Jahre später Luther in Deutschland wagte: er schuf eine einheitliche katalanische Literatursprache.

Dabei ging es Llull nicht nur um die Förderung seines Idioms, sondern auch um den Kontakt zwischen den Kulturen am Mittelmeer. So gründete er an der Nordküste Iberiens die erste ÜbersetzerInnenschule. Für Enric Casassas zeigen sich bereits hier zwei wesentliche Merkmale katalanischer Identität: das Streben nach Selbstverwirklichung, dessen Symbol die eigene Sprache ist, und die Offenheit gegenüber anderen Kulturen.

Im 15. Jahrhundert revolutionierte der katalanische Roman „Tirant lo Blanc“ von Joanot Martonell die abendländische Erzählkunst. Anstatt eines standardisierten Ritterideals enthält er erstmals realistische Beschreibungen. Eine solche Neuerung sei nur in Katalonien möglich gewesen, meint Casassas, denn: „Das viele Licht im Süden stimmt die Leute euphorisch, sie sehen alles ein bißchen rosa, im Norden jedoch stimmt der dunkle Nebel die Leute trübsinnig. Bei uns stimmen die Lichtverhältnisse.“

Die politische Situation indessen stimmte vom 16. bis 18. Jahrhundert nicht. Die Konflikte der drei großen Nationen auf der Halbinsel, Katalonien, Portugal und Kastilien, führten zur Abspaltung Portugals und zum Verlust der Autonomie Kataloniens. Daß gerade damals ein Bauernlied zur katalanischen Nationalhymne avancierte, ist nach Casassas bezeichnend für den hartnäckigen Kampfgeist seiner Landsleute. Und daß gerade der Tag, an dem Katalonien seine Unabhängigkeit verlor, der 11. September 1716, zum Nationalfeiertag wurde, sieht er als typisch für den masochistischen Zug, der das katalanische Selbstbewußtsein gelegentlich befällt. „Seitdem herrscht das Gefühl der Zweitklassigkeit gegenüber Kastilien“, behauptet er.

Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung im 19. Jahrhundert ging es auch mit der katalanischen Kultur bergauf: während der „Renaixença“, besann man sich – wie in der deutschen Romantik – auf die Wurzeln. Und noch mehr verbindet die beiden Strömungen der Gedanke der Sehnsucht. Ein Begriff, der im Spanischen nicht existierte und erst über das katalanische „Enyorança“ eingeführt wurde. Das rauschhafte Sehnen und der spröde Verstand, das – da sind sich Térmens und Casassas einig – sind zwei typisch katalanische Wesenszüge, beide zur Zeit übrigens sehr „europhil“.

Denn die KatalanInnen sehen in einem zukünftigen „Europa der Regionen“ ihre Chance, aus dem Schatten des spanischen Nationalstaates herauszutreten. Bis dahin werden sie mit einer weiteren Wesensart, der Ironie, ihre „Sonderrolle“ bewahren. Die hat auch Quim Monzó, wenn er auf seiner Lesung am 14.6. zeigen wird, daß es genauso einfach ist, in Katalonien auf katalanisch zu schreiben wie in Italien auf italienisch.

AusländerInnen wie Simone Frings können übrigens noch einer letzten Eigenschaft sicher sein: der Hilfsbereitschaft. Die katalanische Vorlesung wiederholte ein Professor noch einmal privat am Nachmittag auf spanisch für ganze fünf AuslandsstudentInnen.

„Literatur aus Katalonien“: am 11.6., 19.30 Uhr: Joan Brossa, Literaturhaus, Fasanenstraße 23, Charlottenburg; am 12.6., 20 Uhr: Enric Casassas und Xavier Lloveras, DAADgalerie, Kurfürstenstraße 58, Schöneberg; am 13.6., 20 Uhr: Maria Mercè Marçal und Isabel-Clara Simó, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten; am 14.6., 20 Uhr: Quim Monzó, Podewil, Klosterstraße 68-70, Mitte, und am 16.6., 20 Uhr: Maria Barbal und Jesús Moncada im Literarischen Colloquium, Am Sandwerder 5, Wannsee

Weitere Informationen unter Telefon: 231 20 825

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