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Von Sahne zerquetscht

Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft 1996: In einem Spiel von hohem Unterhaltungswert schlägt Bulgarien das deutsche Team mit 3:2  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Irgend etwas stimmt hier nicht! Ein „tolles Spiel“ hat Bild erblickt, „das beste Spiel der Vogts-Ära“ gar der Videotext von Sat.1. Und die Fernsehkommentatoren des ZDF waren schier aus dem Häuschen vor Begeisterung, sogar Kalli Feldkamp. Aufwachen, Leute! Wir haben verloren. Verloren! War es denn nicht immer eine unanfechtbare Prämisse des deutschen Fußballs, daß allein das Ergebnis zählt? Daß ein lausiges 1:0 allemal besser ist als ein 5:5 oder gar ein 2:3? Daß in zwei Wochen niemand mehr davon redet, wie ein Sieg zustande gekommen ist, Hauptsache, wir haben die Punkte? Was ist passiert, daß auf einmal sämtliche Grundfesten ins Wanken geraten? Stimmt etwa, was die bulgarische Zeitung 7 Tage Sport behauptet: „Unser Nationalteam hat das Selbstgefühl Deutschlands in Sachen Fußball für mehrere Jahre ruiniert“? Ist man mittlerweile froh, gegen europäische Giganten wie Bulgarien mit einer knappen Niederlage davonzukommen, so wie sich die Färöer Inseln über ihr 0:2 gegen Schottland freuen? Oder haben sich am Ende gar die Ästheten im Geiste Netzers durchgesetzt, denen ein langer Paß mehr gilt als jedes Abstaubertor, ein Fallrückzieher an die Latte wertvoller ist als jeder erkämpfte und erholzte WM-Gewinn? Fragen über Fragen, eine beunruhigender als die andere.

Zum Glück haben wir jedoch den Bundestrainer und seine Spieler, die alles wieder ins rechte Maß der bewährten Tradition rücken. „Mir wäre ein bescheidenes 0:0 lieber gewesen“, sagte Libero Matthias Sammer nach dem 2:3 im EM-Qualifikationsspiel gegen Bulgarien. Und Berti Vogts merkte nach dem großartigen Spiel gegen einen großartigen Gegner ebenso trotzig an: „Ehrlich gesagt, mir wäre ein Sieg lieber gewesen als ein gutes Spiel.“ Allgemeines Aufatmen: Der gute alte Berti ist sich treu geblieben. Lieber ein trübes Gegurke mit Happy- End als ein rauschendes Fußballfest mit leeren Händen. In seinem Fall eine realistische Einschätzung. Zwar ist seine Position nach der guten Leistung gegen Bulgarien kurzfristig stark verbessert, sollten am Ende jedoch die Punkte von Sofia zur Teilnahme am Finalturnier 1996 in England fehlen, ist er im Handumdrehen wieder der Watschenmann der Nation.

Immerhin weiß er jetzt endlich, warum seine Mannschaft im WM- Viertelfinale von New York ausgeschieden ist. Die Bulgaren, gegen die „wir“, laut Beckenbauer, „normalerweise überhaupt nicht verlieren können“, sind einfach besser. „Zusammen mit Spanien sind sie zur allerersten Sahne zu zählen“, weiß Vogts mittlerweile. Fast jeder bulgarische Spieler ist in der Lage, seinen direkten Kontrahenten auf engem Raum zu umspielen, bei den Deutschen kann das nur Häßler, der in Sofia nach langer Zeit wieder ein hervorragendes Länderspiel machte, auch wenn er manch einen Haken zuwenig schlug. Das Zusammenspiel im Mittelfeld mit Balakow und Letschkow ist exzellent, in der Spitze sind Penew, Stoitschkow, Kostadinow kaum zu bremsen – es sei denn, auf Kosten eines Elfmeters – und das Tor treffen sie auch noch aus fast jeder Entfernung.

Die Deutschen hielten sich gegen diese Sammlung von Klassefußballern mittels Kampfkraft, Zielstrebigkeit und Geschick erstaunlich gut. Stoitschkow, der weit zurückhing, wurde nur bei Fernschüssen gefährlich, Torwart Köpke parierte, was geflogen kam, und die Konter über Häßler, Basler und Klinsmann waren äußerst gefährlich. Völlig verdient die 2:0-Führung nach glänzend herausgespielten Treffern von Klinsmann (18.) und Strunz (44.). „Wenn wir mit der 2:0-Führung in die Halbzeit gegangen wären, hätten wir auch gewonnen“, behauptete Köpke später, doch das darf getrost bezweifelt werden. Die Bulgaren gerieten nach dem Rückstand in eine spielerische Rage, die umgehend in das Strafraumfoul des noch unter verschärfter Euphorie stehenden Strunz an Balakow mündete. Stoitschkow verwandelte den vom fast fehlerfreien Schiedsrichter Pairetto verhängten Strafstoß zum 1:2-Pausenstand.

Nach der Halbzeit wurde der Druck der Bulgaren noch stärker, es bedurfte jedoch erst der Einwechslung Kostadinows (62.), die Überlegenheit auch in Tore umzuwandeln, wozu dem Bayern-Stürmer sieben Minuten reichten. Erst führte ein Foul Helmers an seinem Münchner Mannschaftskollegen zum zweiten von Stoitschkow verwandelten Elfmeter (66.), dann erzielte Kostadinow selbst den Siegtreffer (69.). Danach zogen sich die Bulgaren riskanterweise zurück, was dem deutschen Team eine fulminante Schlußoffensive ermöglichte, die Klinsmann vier Minuten vor Schluß fast zum Ausgleich genutzt hätte. Sein Schuß aus Nahdistanz wurde jedoch von Torhüter Michailow abgewehrt, und perfekt war, was 7 Tage Sport mit etwas unangemessener Brachialität feierte: „Wir haben die Deutschen im größten Spiel unserer Fußball-Geschichte zerquetscht.“

Wie sagt doch Berti Vogts: „Im Profi-Fußball zählt letztendlich nur das Ergebnis.“ Aber: „Wir haben viel für unser Prestige getan.“ Irgend etwas stimmt hier nicht.

Deutschland: Köpke - Sammer - Babbel - Reuter, Strunz (90. Kirsten), Eilts, Helmer - Basler, (80. Möller), Häßler - Klinsmann, Herrlich

Zuschauer: 60.000; Tore: 0:1 Klinsmann (18.), 0:2 Strunz (44.), 1:2 Stoitschkow (45./Foulelfmeter), 2:2 Stoitschkow (66./Foulelfmeter), 3:2 Kostadinow (69.)

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